Im normalen Verlauf einer Infektion löst der Krankheitserreger zuerst eine Antwort
des angeborenen Immunsystems aus. Die fremden Antigene des Krankheitserregers, deren
Signale durch die angeborene Immunantwort verstärkt werden, lösen dann eine adaptive
Immunantwort aus, die letztendlich die Infektion beseitigt und einen Zustand schützender
Immunität herbeiführt. Das geschieht allerdings nicht immer. In diesem Kapitel werden
wir feststellen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, wie die Immunantwort gegen
Pathogene fehlschlagen kann: aufgrund von Immundefekten bei einem anormalen Wirtsorganismus,
wie es bei einer Immunschwäche vorkommt, oder durch Verhinderung oder Unterwandern
der normalen Immunreaktion durch die Krankheitserreger bei einem gesunden Wirt. Zum
Schluss wollen wir uns mit der besonderen Situation beschäftigen, dass die Immunabwehr
eines genetisch normalen Wirtsorganismus durch einen Krankheitserreger so beeinträchtigt
wird, dass es zu einer allgemeinen Anfälligkeit für Infektionen kommt, wie es beim
erworbenen Immunschwächesyndrom (acquired immune deficiency syndrome, AIDS) der Fall
ist, das von dem humanen Immunschwächevirus (human immunodeficiency virus, HIV) hervorgerufen
wird.
Im ersten Teil des Kapitels beschäftigen wir uns mit den primären oder vererbbaren
Immunschwächekrankheiten , bei denen die Immunabwehr aufgrund eines erblichen Gendefekts
versagt, was zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen mit bestimmten Gruppen
von Pathogenen führt. Man kennt Immunschwächekrankheiten, die durch Defekte in der
Entwicklung der T- und B-Lymphocyten, in der Phagocytenfunktion oder bei Bestandteilen
des Komplementsystems hervorgerufen werden. Im zweiten Teil des Kapitels wollen wir
uns kurz mit Mechanismen befassen, durch die Krankheitserreger spezifischen Komponenten
der Immunantwort ausweichen oder diese unterwandern, um so der Vernichtung zu entgehen
– der sogenannten Immunevasion . Im letzten Teil des Kapitels beschäftigen wir uns
damit, wie die dauerhafte Infektion mit HIV zum Krankheitsbild von AIDS führt, also
zu sekundären oder erworbenen Immunschwächekrankheiten . Die Untersuchung der Bedingungen
und Mechanismen, durch die das Immunsystem versagen kann, hat bereits wichtige Informationen
zu unserem Verständnis der Immunabwehr beigetragen und sollte auch auf längere Sicht
bei der Entwicklung neuer Methoden hilfreich sein, Infektionskrankheiten einschließlich
AIDS einzudämmen und ihnen vorzubeugen.
Immunschwächekrankheiten
Zu einer Immunschwächekrankheit kommt es, wenn eine oder mehrere Komponenten des Immunsystems
defekt sind. Man unterscheidet primäre (vererbbare oder angeborene) und sekundäre
(erworbene) Immunschwächen. Primäre Immunschwächen werden durch vererbte Mutationen
in einem der zahlreichen Gene verursacht, die bei den Immunantworten mitwirken oder
sie kontrollieren. Bis heute wurden gut 150 primäre Immunschwächen beschrieben, die
die Entwicklung oder die Funktion der Immunzellen oder beide Bereiche beeinträchtigen.
Die klinischen Symptome dieser Erkrankungen sind daher ausgesprochen unterschiedlich.
Ein gemeinsames Merkmal ist jedoch, dass es bei Kleinkindern zu wiederholten und häufig
sehr schwer verlaufenden Infektionen kommt. Sekundäre Immunschwächen werden hingegen
als Folge anderer Krankheiten erworben, sie entstehen sekundär als Folge von äußeren
Faktoren wie Hunger oder sind eine Nebenwirkung eines medizinischen Eingriffs. Einige
Formen der Immunschwächen betreffen vor allem die immunregulatorischen Mechanismen.
Defekte dieser Art können zu Allergien, anormaler Proliferation von Lymphocyten, Autoimmunität
und bestimmten Krebsformen führen. Diese werden in anderen Kapiteln besprochen. Hier
wollen wir uns vor allem auf die Immunschwächen konzentrieren, die eine Anfälligkeit
für Infektionen hervorrufen.
Die primären Immunschwächekrankheiten lassen sich anhand der beteiligten Komponenten
des Immunsystems unterscheiden. Da jedoch viele Bestandteile der Immunabwehr ineinandergreifen,
kann ein Defekt in einer Komponente auch die Funktion an anderen Stellen beeinträchtigen.
Deshalb können Primärdefekte der angeborenen Immunität zu Defekten der adaptiven Immunität
führen, und umgekehrt. Dennoch ist es sinnvoll, Immundefekte im Zusammenhang mit den
betroffenen Hauptkomponenten des Immunsystems zu betrachten, da diese bestimmte Muster
von Infektionen und klinischen Symptomen hervorrufen. Wenn man untersucht, welche
Infektionskrankheiten mit einer bestimmten Immunschwäche einhergehen, lässt sich erkennen,
welche Komponenten des Immunsystems für die Reaktion auf bestimmte Erreger von Bedeutung
sind. Die erblichen Immunschwächen machen auch deutlich, wie die Wechselwirkungen
zwischen den verschiedenen Immunzelltypen zur Immunantwort und zur Entwicklung der
B- und T-Zellen beitragen. Schließlich können uns diese erblichen Krankheiten zu dem
defekten Gen führen und so vielleicht neue Informationen über die molekularen Grundlagen
der Immunreaktionen erbringen sowie die notwendigen Kenntnisse für die Diagnose, eine
gute genetische Beratung und möglicherweise eine Gentherapie liefern.
Eine Krankengeschichte mit wiederholten Infektionen legt eine Immunschwäche als Diagnose
nahe
Patienten mit einer Immunschwäche erkennt man im Allgemeinen aufgrund ihrer klinischen
Geschichte, die wiederholte Infektionen mit den gleichen oder ähnlichen Pathogenen
aufweist. Die Art der Infektionen zeigt an, welcher Teil des Immunsystems geschädigt
ist. Die wiederholte Infektion mit pyogenen (eiterbildenden) Bakterien lässt den Schluss
zu, dass die Funktion der Antikörper, des Komplementsystems oder der Phagocyten gestört
ist, da diese Teile des Immunsystems bei der Abwehr solcher Infektionen von Bedeutung
sind. Andererseits deuten eine dauerhafte Pilzinfektion der Haut, etwa mit Candida,
oder wiederkehrende Virusinfektionen darauf hin, dass ein Immundefekt unter Beteiligung
der T-Lymphocyten vorliegt.
Primäre Immunschwächekrankheiten beruhen auf rezessiven Gendefekten
Bevor Antibiotika zur Verfügung standen, starben die meisten Patienten mit einem ererbten
Defekt der Immunabwehr bereits im Säuglingsalter oder während der frühen Kindheit,
da sie für Infektionen durch bestimmte Krankheitserreger besonders anfällig waren.
Diese Erbkrankheiten waren nicht leicht zu identifizieren, da auch viele nicht davon
betroffene Kinder an den Folgen von Infektionskrankheiten starben. Die meisten Gendefekte,
die sekundäre (vererbbare) Immunschwächenkrankheiten verursachen, werden rezessiv
vererbt und viele lassen sich auf Mutationen in den Genen des X-Chromosoms zurückführen.
Rezessiv vererbte Defekte führen nur dann zur Erkrankung, wenn beide Chromosomen das
fehlerhafte Gen tragen. Da Männer nur ein X-Chromosom besitzen, bilden alle Männer,
die eine X-gekoppelte Erkrankung erben, die Krankheit auch aus. Frauen hingegen bleiben
aufgrund ihres zweiten, unveränderten X-Chromosoms normalerweise gesund.
Bei Mäusen ließen sich mithilfe von Knockout-Verfahren (Anhang I, Abschn. A.35) verschiedene
Arten der Immunschwäche erzeugen, die unser Wissen darüber, wie einzelne Proteine
zur normalen Funktion des Immunsystems beitragen, rasch erweitert haben. Trotzdem
bieten humane Immunschwächekrankheiten immer noch die beste Möglichkeit, Einblicke
in die normalen Reaktionswege der Immunabwehr von Infektionskrankheiten zu gewinnen.
So erhöhen zum Beispiel Defekte in der Funktion der Antikörper, des Komplementsystems
oder der Phagocyten das Risiko, von bestimmten eiterbildenden Bakterien infiziert
zu werden. Das bedeutet, dass Reaktionen des Wirtes bei der Abwehr solcher Bakterien
normalerweise in folgender Reihenfolge ablaufen: Nach der Bindung der Antikörper erfolgt
die Fixierung von Komplementkomponenten, welche die Aufnahme und das Abtöten der opsonisierten
Bakterien durch die Phagocyten ermöglicht. Fehlt ein Glied in dieser Kette, die zum
Abtöten der Bakterien führt, kommt es immer zu einem ähnlichen Immunschwächezustand.
Durch die Immunschwächen erfahren wir auch etwas über die Redundanz der Mechanismen,
mit denen der Wirt Infektionskrankheiten bekämpft. Der erste Mensch (zufällig ein
Immunologe), bei dem man einen erblichen Defekt im Komplementsystem (einen C2-Mangel
) entdeckte, war gesund. Das bedeutet, dass dem Immunsystem vielfältige Maßnahmen
zum Schutz gegen Infektionen zur Verfügung stehen, sodass ein Defekt in einem Bestandteil
der Immunität durch andere Komponenten ausgeglichen werden kann. Es gibt zwar zahlreiche
Befunde, dass ein Komplementdefekt die Anfälligkeit für pyogene Infektionen erhöht,
aber nicht jeder Mensch mit einer Komplementschwäche leidet an wiederkehrenden Infektionen.
In Abb. 13.1 sind Beispiele für Immunschwächekrankheiten aufgeführt. Keine davon ist
besonders verbreitet (ein bestimmter IgA-Mangel kommt noch am häufigsten vor) und
einige sind sogar außerordentlich selten. Diese Krankheiten werden in den folgenden
Abschnitten beschrieben und wir haben sie danach zusammengefasst, ob der zugrundeliegende
Defekt im adaptiven oder im angeborenen Immunsystem liegt.
Defekte in der T-Zell-Entwicklung können zu schweren kombinierten Immundefekten führen
Die Entwicklungswege der zirkulierenden naiven T- und B-Zellen sind in Abb. 13.2 zusammengefasst.
Patienten mit einem Defekt in der T-Zell-Entwicklung sind anfällig für ein breites
Spektrum von Krankheitserregern. Das verdeutlicht, dass die Differenzierung und Reifung
der T-Zellen bei der adaptiven Immunität für praktisch alle Antigene eine zentrale
Rolle spielt. Da solche Patienten weder T-Zell-abhängige Antikörperreaktionen noch
zelluläre Immunantworten zeigen und deshalb auch kein immunologisches Gedächtnis entwickeln
können, leiden sie am schweren kombinierten Immundefekt (SCID ) .
Der X-gekoppelte schwere kombinierte Immundefekt (X-SCID ) ist die häufigste Form
des SCID. Ursachen sind Mutationen im IL2RG-Gen auf dem menschlichen X-Chromosom,
das die γ-Kette (γ
c) des Interleukin-2-Rezeptors (IL-2R) codiert. γ
c ist Bestandteil aller Rezeptoren für die Cytokine der IL-2-Familie (IL-2, IL-4,
IL-7, IL-9, IL-15 und IL-21). Patienten mit X-SCID zeigen daher Defekte bei der Signalgebung
aller Cytokine der IL-2-Familie, sodass sich aufgrund des Mangels an IL-7- und IL-15-Signalen
die T- und NK-Zellen nicht normal entwickeln können (Abb. 13.2). Die Anzahl der B-Zellen
ist hingegen normal, aber aufgrund der fehlenden Unterstützung durch die T-Zellen
trifft das nicht auf die Funktion der B-Zellen zu. Die meisten X-SCID-Patienten sind
männlich. Bei Frauen, die die Mutation tragen, entwickeln sich die Vorläufer der T-
und NK-Zellen normal, die bei der Inaktivierung des X-Chromosoms das IL2RG-Wildtypallel
behalten haben, und bringen ein normal ausgereiftes Immunrepertoire hervor. X-SCID
bezeichnet man auch als bubble boy disease – nach einem Jungen, der mit dieser Krankheit
über zehn Jahre lang in einer Schutzhülle (bubble) lebte, bevor er aufgrund von Komplikationen
bei einer Knochenmarktransplantation starb. Ein klinisch und immunologisch nicht unterscheidbarer
Typ des SCID ist auf eine inaktivierende Mutation der Tyrosinkinase Jak3 (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_8#Sec2)
zurückzuführen, die physikalisch an γ
c bindet und Signale über γ
c-Ketten-Cytokinrezeptoren überträgt. Diese autosomal rezessive Mutation beeinträchtigt
ebenfalls die Entwicklung der T- und NK-Zellen, aber die Entwicklung der B-Zellen
bleibt davon unbeeinflusst.
Durch andere Immunschwächen bei Mäusen war es möglich, die Funktionen der einzelnen
Cytokine und ihrer Rezeptoren bei der Entwicklung von T- und NK-Zellen genauer zu
untersuchen. So hat man beispielsweise bei Mäusen durch gezielte Mutationen im β
c-Gen (IL2RB) die zentrale Funktion von IL-15 als Wachstumsfaktor für die Entwicklung
der NK-Zellen ermittelt, außerdem dessen Bedeutung für die Reifung und Wanderung der
T-Zellen. Mäuse mit gezielten Mutationen in IL-15 selbst oder in der α-Kette des zugehörigen
Rezeptors besitzen ebenfalls keine NK-Zellen und zeigen zwar eine relativ normale
Entwicklung der T-Zellen, aber einen spezifischeren T-Zell-Defekt, bei dem nur der
Erhalt der CD8-T-Zellen beeinträchtigt ist.
Menschen mit einem Defekt der α-Kette des IL-7-Rezeptors besitzen keine T-Zellen,
aber normale Mengen an NK-Zellen. Das verdeutlicht, dass die Signale von IL-7 für
die Entwicklung der T-Zellen essenziell sind, nicht jedoch für die Entwicklung der
NK-Zellen (Abb. 13.2). Interessant ist dabei, dass Mäuse mit einem künstlich herbeigeführten
Defekt im Gen für IL-7R wie Menschen einen T-Zell-Defekt aufweisen, aber auch keine
B-Zellen besitzen, was bei Menschen jedoch nicht der Fall ist. Hier zeigt sich die
bei den einzelnen Spezies unterschiedliche Funktion bestimmter Cytokine. Außerdem
ist dies ein Hinweis darauf, dass man bei der Interpretation von Versuchsergebnissen
bei Mäusen und deren Bedeutung für den Menschen vorsichtig sein muss. Bei Menschen
und Mäusen, deren T-Zellen nach der Stimulation des Rezeptors kein IL-2 produzieren,
erfolgt die Entwicklung der T-Zellen größtenteils normal, wobei die Entwicklung der
FoxP3+-Treg-Zellen gestört ist. Dadurch kann es zu immunregulatorischen Anomalien
und zu Autoimmunität kommen (Kap. 10.1007/978-3-662-56004-4_15). Die eher begrenzten
Auswirkungen der einzelnen Defekte der Cytokinsignale stehen in einem gewissen Kontrast
zu den weitreichenden Folgen der Entwicklung der T- und NK-Zellen bei X-SCID-Patienten.
Wie bei allen schweren T-Zell-Schwächen erzeugen auch Patienten mit X-SCID auf die
meisten Antigene keine wirksamen Antikörperantworten, wobei ihre B-Zellen anscheinend
normal sind. Bei den meisten (aber nicht bei allen) naiven IgM-positiven B-Zellen
von weiblichen X-SCID-Trägern ist das defekte und nicht das normale X-Chromosom inaktiviert
(Abschn. 13.1.3). Das zeigt, dass die Entwicklung der B-Zellen zwar von der γ
c-Kette beeinflusst wird, aber nicht vollständig von ihr abhängt. Bei reifen B-Gedächtniszellen,
die einen Isotypwechsel durchlaufen haben, ist das defekte X-Chromosom fast ohne Ausnahme
inaktiviert. Das könnte darauf hinweisen, dass die γ
c-Kette auch Teil des Rezeptors für IL-21 ist. Dieser ist notwendig für die weitere
Reifung von B-Zellen nach einem Isotypwechsel (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec5).
SCID kann auch durch Defekte im Purin-Salvage-Weg hervorgerufen werden
Zu den Varianten des autosomal-rezessiven SCID , die durch Defekte in Enzymen des
Salvage-Weges der Purinsynthese hervorgerufen werden, gehören der Adenosin-Desaminase-Mangel
(ADA-Mangel , Abb. 13.2) und der Purinnucleotidphosphorylase-Mangel (PNP-Mangel ).
Die Adenosin-Desaminase katalysiert die Umwandlung von Adenosin und Desoxyadenosin
zu Inosin beziehungsweise Desoxyinosin. Dieser Defekt führt zur Anhäufung von Desoxyadenosin
und seiner Vorstufe S-Adenosylhomocystein, die beide für T- und B-Zellen in der Entwicklungsphase
toxisch sind. Die Purinnucleotidphosphorylase katalysiert die Umwandlung von Inosin
und Guanosin zu Hypoxanthin beziehungsweise Guanin. Ein PNP-Mangel ist eine seltenere
Form des SCID-Syndroms . Er verursacht auch die Anhäufung von toxischen Vorstufen,
wirkt sich aber auf die Entwicklung der T-Zellen gravierender aus als auf B-Zellen.
Bei beiden Krankheiten entwickelt sich nach der Geburt eine progressive Lymphopenie
, bei der die Anzahl der Lymphocyten stark zurückgeht, sodass diese Symptomatik bereits
in den ersten Lebensjahren stark ausgeprägt ist. Da beide Enzyme sogenannte „Haushaltsproteine“
sind, die von vielen Zelltypen exprimiert werden, ist die Immunschwäche, die jeweils
mit einem dieser Defekte einhergeht, Teil eines umfangreicheren klinischen Syndroms.
Störungen bei der Umlagerung der Antigenrezeptorgene führen zum SCID
Eine weitere Gruppe von autosomal vererbten Defekten, die das SCID -Syndrom hervorrufen,
wird durch ein Versagen der DNA-Umlagerung in sich entwickelnden Lymphocyten verursacht.
So führen Mutationen im RAG-1- oder RAG-2-Gen zu funktionslosen Proteinen, sodass
die Lymphocytenentwicklung der B- und T-Zellen im Übergang von der Pro- zur Prä-Zelle
anhält, da die V(D)J-Rekombination nicht korrekt durchgeführt wird (Abb. 13.2). So
kommt es bei betroffenen Patienten zu einem vollständigen Fehlen der T- und der B-Zellen.
Da sich die Auswirkungen der RAG-Mutationen auf die Lymphocyten beschränken, die in
eine Umlagerung der Antigenrezeptorgene eintreten, ist die Entwicklung der NK-Zellen
nicht beeinträchtigt. Auch gibt es Kinder mit hypomorphen Mutationen (die zu einer
Verringerung, aber nicht zum Fehlen einer Funktion führen) im RAG-1- oder im RAG-2-Gen,
die dennoch eine geringe Menge an funktionsfähigem RAG-Protein erzeugen können und
so geringfügige V(D)J-Rekombinationen zeigen. Zu dieser zuletzt genannten Gruppe gehören
Patienten mit einer sehr speziellen und schweren Erkrankung, die man als Omenn-Syndrom
bezeichnet. Neben einer erhöhten Anfälligkeit für mehrfache opportunistische Infektionen
zeigen diese Patienten auch klinische Merkmale, die einer Graft-versus-Host-Krankheit
sehr ähnlich sind (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_15#Sec40) und von vorübergehenden
Hautausschlägen, Eosinophilie, Diarrhö und einer Vergrößerung der Lymphknoten begleitet
ist. Man findet bei diesen Kindern normale oder erhöhte Zahlen von aktivierten T-Zellen.
Eine Erklärung für diesen Phänotyp besteht darin, dass eine geringe RAG-Aktivität
eine begrenzte Rekombination der T-Zell-Rezeptor-Gene ermöglicht. Es kommen jedoch
keine B-Zellen vor, was darauf hindeutet, dass B-Zellen eine zielführendere RAG-Aktivität
benötigen. Aufgrund der begrenzten Anzahl an T-Zell-Rezeptoren, deren Gene erfolgreich
umgelagert wurden, ist das Repertoire der T-Zellen bei Patienten mit Omenn-Syndrom
stark eingeschränkt und es kommt zu einer klonalen Expansion der vorhandenen begrenzten
Spezifitäten. Die klinischen Merkmale deuten stark darauf hin, dass diese peripheren
T-Zellen autoreaktiv sind und den Phänotyp der Gewebeabstoßung (Graft-versus-Host-Krankheit)
hervorrufen. Neben dem Omenn-Syndrom, das sich schon in einer frühen Lebensphase manifestiert,
hängen auch andere Formen von Immunschwächen mit einer verringerten, jedoch nicht
vollständig fehlenden RAG-Aktivität zusammen. Sie gehen häufig mit einer Granulomatose
einher und treten erst in der späten Kindheit oder während der Adoleszenz in Erscheinung.
Eine weitere Gruppe von Patienten mit einem autosomal rezessiven SCID ist gegenüber
ionisierender Strahlung besonders empfindlich. Die Betroffenen bringen nur sehr wenige
reife B- und T-Zellen hervor, da die DNA-Umlagerung in den sich entwickelnden Lymphocyten
fehlerhaft ist. Es kommt nur selten zu VJ- oder VDJ-Verknüpfungen und die meisten
davon sind anormal. Diese Art von SCID ist auf Defekte in den ubiquitären DNA-Reparaturproteinen
zurückzuführen, die an der Reparatur von Doppelstrangbrüchen beteiligt sind. Diese
treten nicht nur bei der Umlagerung der Antigenrezeptorgenen auf (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_5#Sec6),
sondern auch bei ionisierender Strahlung. Aufgrund der erhöhten Strahlungsempfindlichkeit
der Patienten bezeichnet man die Erkrankung als RS-SCID (radiation-sensitive SCID)
, um sie vom SCID-Syndrom aufgrund von lymphocytenspezifischen Defekten zu unterscheiden.
Defekte in den Genen von Artemis, DNA-PKcs (DNA protein-kinase catalytic subunit)
und der DNA-Ligase IV führen zum RS-SCID (Abb. 13.2). Da Defekte bei der Reparatur
von DNA-Brüchen während der Zellteilung das Risiko für Translokationen erhöhen, die
zu malignen Transformationen führen können, stehen Patienten mit den verschiedenen
RS-SCID-Formen unter einem erhöhten Krebsrisiko.
Defekte bei der Signalgebung durch Antigenrezeptoren können zu einer schweren Immunschwäche
führen
Man kennt einige Gendefekte, die die Signalgebung durch T-Zell-Rezeptoren (TCRs) stören
und damit die Aktivierung der T-Zellen in einer frühen Phase der Thymusentwicklung
blockieren. So zeigen Patienten mit Mutationen in den CD3δ-, CD3ε- oder CD3ζ-Ketten
des CD3-Komplexes einen Defekt der Prä-T-Zell-Rezeptor-Signalgebung und die Thymusentwicklung
kann nicht in das doppelt positive Stadium eintreten (Abb. 13.2). Dadurch kommt es
zum SCID . Ein anderer Defekt der Signalgebung von Lymphocyten, der zu einer schweren
Immunschwäche führt, wird durch Mutationen in der Tyrosinphosphatase CD45 hervorgerufen.
Bei Menschen und Mäusen mit einem CD45-Defekt ist die Anzahl der peripheren T-Zellen
stark verringert und die Reifung der B-Zellen verläuft anormal. Bei Patienten, die
eine defekte Form der cytosolischen Tyrosinkinase ZAP-70 exprimieren, die normalerweise
Signale des T-Zell-Rezeptors überträgt (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec10),
tritt ebenfalls eine schwere Immunschwäche auf. Die CD4-T-Zellen gehen in normaler
Anzahl aus dem Thymus hervor, während CD8-T-Zellen fehlen. Jedoch können die heranreifenden
CD4-T-Zellen nicht auf Signale reagieren, durch die die Zellen normalerweise über
den T-Zell-Rezeptor aktiviert werden.
Das Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS) wird von einem Defekt im WAS-Gen auf dem X-Chromosom
hervorgerufen, das das WAS-Protein (WASp) codiert. Durch das Syndrom konnte man neue
Einsichten in die molekularen Grundlagen der Signalübertragung bei T-Zellen und der
Bildung von immunologischen Synapsen zwischen verschiedenen Zellen des Immunsystems
gewinnen. Die Krankheit betrifft auch die Blutplättchen und wurde zuerst als Störung
der Blutgerinnung beschrieben. Sie verursacht aber auch eine Immunschwäche, die mit
einer verringerten Anzahl der T-Zellen, einer Störung der Cytotoxizität von NK-Zellen
sowie einem Versagen der Antikörperantwort einhergeht (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec22).
WASp wird von allen hämatopoetischen Zelllinien exprimiert und ist der entscheidende
Regulator in der Entwicklung der Lymphocyten und Blutplättchen. Das Protein überträgt
rezeptorvermittelte Signale und bewirkt so eine Umstrukturierung des Cytoskeletts
(Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_9#Sec28). Man kennt mehrere den T-Zell-Rezeptoren
nachgeschaltete Signalwege, die WASp aktivieren (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec22).
Die Aktivierung von WASp aktiviert wiederum den Arp2/3-Komplex , der für das Auslösen
der Actinpolymerisierung notwendig ist. Diese spielt bei der Ausbildung der immunologischen
Synapse und der polarisierten Freisetzung von Effektormolekülen durch die T-Effektorzellen
eine entscheidende Rolle. Bei Patienten mit dem WAS-Syndrom und bei Mäusen, deren
Was-Gen gezielt inaktiviert wurde, können T-Zellen auf eine Quervernetzung des T-Zell-Rezeptors
nicht normal reagieren. Seit Kurzem vermutet man auch, dass WASp für die suppressive
Funktion der natürlichen Treg-Zellen notwendig ist. Dadurch lässt sich vielleicht
teilweise erklären, warum Patienten mit dem WAS-Syndrom für Autoimmunkrankheiten anfällig
sind.
Genetisch bedingte Defekte der Thymusfunktion, welche die Entwicklung der T-Zellen
blockieren, führen zu schweren Immunschwächen
Bei Mäusen kennt man seit vielen Jahren eine Störung der Thymusentwicklung, die mit
einem SCID und fehlender Körperbehaarung einhergeht. Die Mutation wird entsprechend
als
nude
-Mutation bezeichnet, der mutierte Stamm als nude-Stamm (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_8#Sec13).
Man hat bei einer geringen Anzahl von Kindern denselben Phänotyp entdeckt. Sowohl
bei Menschen als auch bei Mäusen wird dieses Syndrom von Mutationen im FOXN1-Gen verursacht,
das einen Transkriptionsfaktor codiert, der selektiv in der Haut und im Thymus exprimiert
wird. FOXN1 ist notwendig für die Differenzierung des Thymusepithels und die Bildung
eines funktionsfähigen Thymus. Bei Patienten mit einer Mutation im FOXN1-Gen verhindert
die fehlende Thymusfunktion die normale Entwicklung der T-Zellen. Die Entwicklung
der B-Zellen ist bei Menschen mit dieser Mutation normal, wobei aufgrund der mangelnden
T-Zellen die B-Zell-Reaktionen fehlen und die Reaktionen auf nahezu alle Krankheitserreger
grundlegend gestört sind.
Das DiGeorge-Syndrom ist eine weitere Erkrankung, bei der sich das Epithelgewebe des
Thymus nicht normal entwickelt, was zum SCID führt. Die genetische Anomalie, die dieser
komplexen Entwicklungsstörung zugrunde liegt, ist eine Deletion in einer Kopie von
Chromosom 22. Das fehlende Stück umfasst 1,5–5 Megabasen, wobei es in der kürzesten
Form, die das Syndrom noch hervorruft, etwa 24 Gene enthält. Das entscheidende Gen
in diesem Abschnitt ist TBX1, das den Transkriptionsfaktor T-Box codiert. Das DiGeorge-Syndrom
wird bereits durch das Fehlen einer einzigen Kopie dieses Gens verursacht. Die betroffenen
Patienten tragen also eine TBX1-Haploinsuffizienz . Ohne die passende, stimulierende
Umgebung des Thymus können die T-Zellen nicht heranreifen und sowohl die zelluläre
Immunantwort als auch die T-Zell-abhängige Antikörperproduktion sind beeinträchtigt.
Patienten mit diesem Syndrom haben normale Mengen an Immunglobulinen im Serum, aber
der Thymus und die Nebenschilddrüsen entwickeln sich unvollständig oder gar nicht,
was mit unterschiedlichen Ausprägungen einer T-Zell-Immunschwäche einhergeht.
Eine gestörte Expression der MHC-Moleküle kann aufgrund der Auswirkungen auf die positive
Selektion der T-Zellen im Thymus zu einer schweren Immunschwäche führen (Abb. 13.2).
Bei Patienten mit dem Nackte-Lymphocyten-Syndrom (bare lymphocyte syndrome) werden
auf den Zellen keinerlei MHC-Klasse-II-Moleküle exprimiert; man bezeichnet die Krankheit
heute als MHC-Klasse-II-Defekt . Da im Thymus keine MHC-Klasse-II-Moleküle vorhanden
sind, können die CD4-T-Zellen nicht positiv selektiert werden, sodass nur wenige heranreifen.
Auch den antigenpräsentierenden Zellen fehlen MHC-Klasse-II-Moleküle, sodass die wenigen
sich entwickelnden CD4-T-Zellen nicht durch Antigene stimuliert werden können. Die
Expression der MHC-Klasse-I-Moleküle ist normal und die CD8-T-Zellen entwickeln sich
normal. Die Betroffenen leiden jedoch unter einem schweren kombinierten Immundefekt,
was die zentrale Bedeutung der CD4-T-Zellen bei der adaptiven Immunität gegen die
meisten Erreger unterstreicht.
Der MHC-Klasse-II-Mangel beruht nicht auf Mutationen in den MHC-Genen, sondern in
einem von mehreren verschiedenen Genen, die genregulatorische Proteine codieren, welche
notwendig sind, um die Transkription der MHC-Klasse-II-Gene zu aktivieren. Vier sich
gegenseitig ergänzende Gendefekte (Gruppe A, B, C und D) sind inzwischen bei Patienten,
die keine MHC-Klasse-II-Proteine exprimieren können, definiert worden. Das deutet
darauf hin, dass mindestens vier verschiedene Gene für die normale Expression dieser
Proteine notwendig sind. Man kennt inzwischen für jede Komplementationsgruppe entsprechende
Gene: CIITA (MHC class II transactivator) ist in Gruppe A mutiert, die Gene RFXANK
, RFX5 und RFXAP sind in den Gruppen B, C beziehungsweise D mutiert (Abb. 13.2). Die
drei zuletzt genannten codieren Proteine, die zu dem multimeren Komplex RFX gehören,
der die Transkription kontrolliert. RFX bindet an die X-Box, eine DNA-Sequenz in der
Promotorregion aller MHC-Klasse-II-Gene.
Bei einer geringen Zahl von Patienten hat man eine begrenztere Form der Immunschwäche
gefunden, die mit chronischen Bakterieninfektionen der Atemwege und Geschwürbildungen
auf der Haut in Verbindung mit Gefäßentzündungen einhergeht. Betroffene zeigen zwar
einen normalen Gehalt an MHC-Klasse-I-mRNA und eine normale Produktion von MHC-Klasse-I-Proteinen,
aber nur sehr wenige dieser Moleküle gelangen an die Zelloberfläche. Daher bezeichnet
man die Erkrankung als MHC-Klasse-I-Defekt . Anders als Patienten mit einem MHC-Klasse-II-Defekt
zeigen die Betroffenen ein normales Niveau der mRNA, die MHC-Klasse-I-Moleküle codiert,
und eine normale Produktion der MHC-Klasse-I-Proteine, allerdings erreichen nur wenige
dieser Proteine die Zelloberfläche. Die Erkrankung kann zum einen auf Mutationen im
TAP1- oder im TAP2-Gen zurückzuführen sein. Diese codieren die Untereinheiten des
Peptidtransporters, der die im Cytosol erzeugten Peptide in das endoplasmatische Reticulum
bringt, wo sie an die naszierenden MHC-Klasse-I-Moleküle gebunden werden. Zum anderen
können Mutationen im TAPBP-Gen verantwortlich sein, das Tapasin codiert, eine andere
Komponente des Peptidtransporterkomplexes (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_6#Sec5).
Die verringerte Anzahl von MHC-Klasse-I-Molekülen an der Oberfläche der Thymusepithelzellen
führt zwar zu einem Mangel an CD8-T-Zellen (Abb. 13.2), aber Menschen mit einem MHC-Klasse-I-Defekt
sind für Virusinfektionen erstaunlicherweise nicht außergewöhnlich anfällig, obwohl
den cytotoxischen CD8-T-Zellen bei der Eindämmung von viralen Infektionen eine Schlüsselrolle
zukommt. Für bestimmte Peptide gibt es jedoch Hinweise auf TAP-unabhängige Wege der
Antigenpräsentation durch MHC-Klasse-I-Moleküle. Der klinische Phänotyp von Patienten
mit TAP1- oder TAP2-Defekt zeigt, dass diese Wege offenbar für einen Ausgleich sorgen
können, sodass sich funktionsfähige CD8-T-Zellen in genügender Zahl entwickeln, um
Viren in Schach zu halten.
Einige Defekte der Thymuszellen verursachen einen Phänotyp, der neben der Immunschwäche
weitere Symptome umfasst. Das AIRE-Gen codiert einen Transkriptionsfaktor, der es
den Thymusepithelzellen ermöglicht, viele Selbst-Proteine zu produzieren, sodass eine
wirksame negative Selektion stattfinden kann. Mutationen im AIRE-Gen führen zu einem
komplexen Syndrom, das man mit APECED (Autoimmun-Polyendokrinopathie-Candidiasis-ektodermale-Dystrophie-Syndrom)
bezeichnet und das mit Autoimmunität, Entwicklungsstörungen und einer Immunschwäche
einhergeht (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_8#Sec27 und Kap. 10.1007/978-3-662-56004-4_15).
Wenn die Entwicklung der B-Zellen gestört ist, kommt es zu einem Antikörpermangel,
sodass extrazelluläre Bakterien und einige Viren nicht beseitigt werden können
Neben vererbbaren Defekten in Proteinen, die für die Entwicklung sowohl der T- als
auch der B-Zellen essenziell sind, beispielsweise RAG-1 und RAG-2, kennt man inzwischen
auch Defekte, die allein für die Entwicklung der B-Zellen spezifisch sind (Abb. 13.2).
Patienten mit solchen Defekten können extrazelluläre Bakterien und auch einige Viren
nicht erfolgreich bekämpfen, da für deren Beseitigung spezifische Antikörper notwendig
sind. Pyogene Bakterien , beispielsweise Staphylokokken und Streptokokken, sind von
einer Polysaccharidhülle umgeben, sodass sie nicht von den Rezeptoren auf Makrophagen
und neutrophilen Zellen erkannt werden, welche die Phagocytose stimulieren. Die Bakterien
entgehen der Vernichtung durch die angeborene Immunantwort und sind als extrazelluläre
Bakterien erfolgreich, können aber von einer adaptiven Immunantwort beseitigt werden.
Die Opsonisierung durch Antikörper und das Komplementsystem ermöglicht es den Phagocyten,
diese Bakterien aufzunehmen und zu zerstören (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec25).
Eine zu geringe Antikörperproduktion bewirkt also vor allem, dass das Immunsystem
Infektionen mit pyogenen Bakterien nicht mehr in Schach halten kann. Da Antikörper
bei der Neutralisierung infektiöser Viren, die über den Darm in den Körper gelangen,
eine wichtige Rolle spielen, sind Menschen mit einer verringerten Antikörperproduktion
auch besonders anfällig für bestimmte Virusinfektionen – vor allem für solche, die
von Enteroviren verursacht werden.
Die erste Beschreibung einer Immunschwächekrankheit lieferte Ogden C. Bruton im Jahre
1952 am Beispiel eines Jungen, der keine Antikörper produzieren konnte. Dieser Defekt
wird mit dem X-Chromosom vererbt und ist durch einen Mangel an Immunglobulinen im
Serum gekennzeichnet (Agammaglobulinämie ); man bezeichnet ihn daher als X-gekoppelte
Agammaglobulinämie (X-linked agammaglobulinemia, XLA) oder Bruton-Syndrom (Abb. 13.2).
Seit damals sind verschiedene Varianten von autosomal-rezessiven Varianten von Agammaglobulinämien
beschrieben worden. Bei Kleinkindern lassen sich solche Krankheiten im Allgemeinen
durch das Auftreten von wiederholten Infektionen mit pyogenen Bakterien, etwa Streptococcus
pneumoniae, und mit Enteroviren erkennen. In diesem Zusammenhang ist noch festzuhalten,
dass normale Kleinkinder in den ersten drei bis zwölf Lebensmonaten einen vorübergehenden
Mangel der Immunglobulinproduktion aufweisen. Ein Neugeborenes verfügt über Antikörperspiegel,
die denen der Mutter ähnlich sind, weil das mütterliche IgG über die Plazenta in den
Fetus transportiert wurde (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec19). Da diese IgG-Antikörper
im Stoffwechsel abgebaut werden, nehmen die Antikörperspiegel allmählich ab, bis das
Kleinkind im Alter von sechs Monaten selbst damit beginnt, ausreichende Mengen an
eigenem IgG zu produzieren (Abb. 13.3). Deshalb sind die IgG-Titer im Alter zwischen
drei Monaten und einem Jahr relativ niedrig. Dadurch kann die Anfälligkeit für Infektionen
eine Zeit lang erhöht sein, vor allem bei Frühgeborenen. die bereits einen niedrigeren
Titer an mütterlichem IgG aufweisen und die Immunkompetenz auch erst längere Zeit
nach der Geburt erreichen. Da Neugeborene vorübergehend mit einem Schutz durch die
mütterlichen Antikörper ausgestattet sind, wird der XLA im Allgemeinen erst mehrere
Monate nach der Geburt festgestellt, wenn die Titer der mütterlichen Antikörper abgenommen
haben.
Das fehlerhafte Gen bei XLA codiert eine Tyrosinkinase, die sogenannte Bruton-Tyrosinkinase
(Btk), die zur Familie der Tec-Kinasen gehört; diese Kinasen übertragen Signale der
Prä-B-Zell-Rezeptoren (Prä-BCRs, Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec23). Wie bereits
in Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_8#Sec4 besprochen, besteht der Prä-B-Zell-Rezeptor
aus schweren μ-Ketten, die von einem erfolgreich umgelagertem Gen codiert werden und
einen Komplex mit der leichten Ersatzkette (bestehend aus λ5 und VpreB) und den signalübertragenden
Untereinheiten Igα und Igβ bilden. Die Stimulation des Prä-B-Zell-Rezeptors rekrutiert
cytoplasmatische Proteine, darunter auch die Btk, die für die Proliferation und Differenzierung
der B-Zellen erforderliche Signale übermitteln. Bei einem Fehlen der Btk-Funktion
wird die Reifung der B-Zellen zu einem großen Teil im Prä-B-Zell-Stadium blockiert
(Abb. 13.2 und Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_8#Sec4). Das führt zu einem grundlegenden
B-Zell-Mangel und zu einer Agammaglobulinämie. Einige B-Zellen reifen jedoch heran,
möglicherweise da andere Tec-Kinasen, hier für einen gewissen Ausgleich sorgen.
Während der Embryonalentwicklung wird beim weiblichen Fetus in den Zellen zufallsgemäß
eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert. Da die Btk für die Entwicklung der B-Lymphocyten
notwendig ist, können nur solche Zellen zu reifen B-Zellen werden, in denen das normale
BTK-Allel aktiv ist. Demnach ist in beinahe allen B-Zellen von heterozygoten Trägerinnen
eines mutierten BTK-Gens das normale X-Chromosom aktiviert. Aus diesem Grund konnte
man heterozygote Trägerinnen des XLA-Defekts bereits identifizieren, bevor die Funktion
des BTK-Genprodukts bekannt war. In den T-Zellen und Makrophagen solcher Frauen sind
dagegen die X-Chromosomen mit dem normalen BTK-Allel und mit dem mutierten Allel mit
der gleichen Wahrscheinlichkeit aktiv. Die nur in B-Zellen vorkommende nichtzufällige
Inaktivierung des X-Chromosoms beweist außerdem schlüssig, dass die Btk zwar für die
Entwicklung der B-Zellen notwendig ist, nicht aber für die anderer Zellen, und dass
das Enzym innerhalb der B-Zellen seine Wirkung entfaltet, aber nicht in Stromazellen
oder in anderen Zellen, die für die Entwicklung von B-Zellen erforderlich sind (Abb. 13.4).
Autosomal-rezessiv vererbbare Defekte von anderen Komponenten des Prä-B-Zell-Rezeptors
blockieren die B-Zell-Entwicklung ebenfalls in einer frühen Phase und führen zu einem
gravierenden B-Zell-Mangel und einer angeborenen Agammaglobulinämie , vergleichbar
mit dem XLA-Defekt. Diese Krankheiten sind jedoch viel seltener und können durch Mutationen
in den Genen hervorgerufen werden, die die schwere μ-Kette codieren (IGHM). Dies ist
die zweithäufigste Ursache für eine Agammaglobulinämie. Andere Mutationen betreffen
λ5 (ILLl1), Igα (CD79A) und Igβ (CD79B) (Abb. 13.2). Mutationen, die das B-Zell-Linker-Protein,
den vom BLNK-Gen codierten Signaladaptor des B-Zell-Rezeptors, beeinträchtigen, führen
auch zu einer Blockade der B-Zell-Entwicklung in einer frühen Phase, was einen selektiven
B-Zell-Mangel hervorruft.
Patienten mit reinen B-Zell-Defekten können viele Krankheitserreger, außer den pyogenen
Bakterien, erfolgreich bekämpfen. Von Vorteil ist dabei, dass sich diese Infektionen
mithilfe von Antibiotika und periodischen Infusionen mit menschlichem Immunglobulin,
das von vielen verschiedenen Spendern stammt, unterdrücken lassen. Da das von vielen
Spendern gesammelte Blut Antikörper gegen die meisten Erreger enthält, bietet es einen
recht guten Schutz vor Infektionen.
Immunschwächen können von Defekten bei der Aktivierung und Funktion von B- oder T-Zellen,
die zu anormalen Antikörperreaktionen führen, hervorgerufen werden
Nach ihrer Entwicklung im Knochenmark oder Thymus benötigen B- und T-Zellen eine von
Antigenen ausgelöste Aktivierung und Differenzierung, um eine wirksame Immunantwort
zu etablieren. Entsprechend den Defekten in der frühen Phase der T-Zell-Entwicklung
können auch bei der Aktivierung und Differenzierung nach der Selektion im Thymus Fehler
auftreten, die sich sowohl auf die zelluläre Immunität als auch auf die Antikörperreaktionen
auswirken (Abb. 13.5). Defekte, die spezifisch die Aktivierung und Differenzierung
der B-Zellen betreffen, können deren Fähigkeit beeinträchtigen, einen Isotypwechsel
zu IgG, IgA oder IgE durchzuführen, während die zelluläre Immunität weitgehend intakt
bleibt. Abhängig davon, wo diese Defekte im Differenzierungsprozess der T- und B-Zellen
auftreten, können die Merkmale der sich herausbildenden Immunschwäche von grundlegender
Art oder relativ begrenzt sein.
Bei Patienten mit einem Defekt, der den Isotypwechsel der B-Zellen beeinträchtigt,
kommt es häufig zu einem Hyper-IgM-Syndrom (Abb. 13.5). Diese Patienten zeigen eine
normale Entwicklung der B- und T-Zellen und auch einen normalen oder hohen IgM-Spiegel,
bringen aber nur wenige Antikörperreaktionen gegen Antigene hervor, die die Unterstützung
durch T-Zellen erfordern. Deshalb werden außer IgM und IgD andere Immunglobulinisotypen
nur in sehr geringen Mengen produziert. Dadurch sind diese Patienten besonders anfällig
für Infektionen mit extrazellulären Krankheitserregern. Für Hyper-IgM-Syndrome sind
inzwischen mehrere verschiedene Ursachen bekannt. Das hat dazu beigetragen, dass man
die für die normale Klassenwechselrekombination und die somatische Hypermutation der
B-Zellen notwendigen Reaktionswege ermitteln konnte. Defekte hat man sowohl bei der
Funktion der T-Helferzellen als auch bei den B-Zellen selbst gefunden.
Die häufigste Form des Hyper-IgM-Syndroms ist das X-gekoppelte Hyper-IgM-Syndrom ,
auch als CD40-Ligand-Defekt bezeichnet, der durch Mutationen im Gen für den CD40-Liganden
(CD154) (Abb. 13.5) hervorgerufen wird. Normalerweise wird der CD40-Litgand von aktivierten
T-Zellen exprimiert, sodass sie an das CD40-Protein auf antigenpräsentierenden Zellen
binden können, etwa bei B-Zellen, dendritischen Zellen und Makrophagen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec5).
Bei Männern mit einem CD40-Ligand-Mangel sind die B-Zellen normal, wenn aber CD40
nicht gebunden wird, können die B-Zellen keinen Isotypwechsel durchführen oder die
Bildung von Keimzentren in Gang setzen (Abb. 13.6). Bei diesen Patienten sind deshalb
mit Ausnahme von IgM und IgD die Spiegel der zirkulierenden Antikörper stark verringert,
sodass die Patienten für Infektionen mit pyogenen Bakterien hochgradig anfällig sind.
Die CD40-Signale sind auch für die Aktivierung der dendritischen Zellen und Makrophagen
erforderlich, damit sie IL-12 in geeigneter Menge produzieren, das wiederum für die
Produktion von IFN-γ durch die TH1- und NK-Zellen benötigt wird. Deshalb zeigen Patienten
mit einem CD40-Ligand-Defekt auch eine fehlerhafte Typ-1-Immunität , was zu einem
kombinierten Immundefekt führt. Wenn die CD40L-CD40-vermittelte Kommunikation zwischen
T-Zellen und dendritischen Zellen gestört ist, können die dendritischen Zellen weniger
costimulierende Moleküle an ihrer Oberfläche exprimieren, sodass sie naive T-Zellen
schlechter anregen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_9#Sec19). Diese Patienten sind
deshalb anfällig für Infektionen mit extrazellulären Pathogenen, beispielsweise mit
pyogenen Bakterien, deren Bekämpfung Antikörper mit Isotypwechsel erfordert. Auch
zeigen diese Patienten Defekte bei der Beseitigung von intrazellulären Bakterien,
etwa von Mycobakterien, und sie sind anfällig für opportunistische Infektionen durch
Pneumocystis jirovecii , ein Pathogen, das normalerweise von aktivierten Makrophagen
getötet wird.
Ein ähnliches Syndrom tritt bei Patienten auf, die Mutationen in zwei anderen Genen
tragen. Nicht unbedingt erstaunlich ist dabei, dass eines der Gene CD40 codiert, das
bei einigen wenigen Patienten mit einer autosomal-rezessiven Variante des Hyper-IgM-Syndroms
Mutationen trägt (Abb. 13.5). Bei einer anderen Form des X-gekoppelten Hyper-IgM-Syndroms
, die man auch als NEMO-Defekt , bezeichnet, treten Mutationen in dem Gen auf, das
das Protein NEMO (NF
κ
B essential modulator) codiert, eine Untereinheit der Kinase IKK; eine andere Bezeichnung
für NEMO ist IKKγ . Diese Untereinheit ist ein essenzieller Bestandteil des intrazellulären
Signalwegs, der CD40 nachgeschaltet ist und zur Aktivierung des Transkriptionsfaktors
NFκB führt (Abb. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Fig15). Diese Gruppe der Hyper-IgM-Syndrome
zeigt, dass Mutationen an verschiedenen Stellen des CD40L-CD40-Signalwegs zu ähnlichen
Syndromen eines kombinierten Immunsdefekts führt. Aufgrund der Bedeutung von NFκB
für viele andere Signalwege verursacht der NEMO-Defekt zusätzliche Fehlfunktionen
des Immunsystems, die über die Störung des B-Zell-Isotypwechsels hinausgeht (Abschn. 13.1.15).
Auch kommt es außerhalb des Immunsystems zu Störungen, etwa zu Hautanomalien.
Andere Varianten des Hyper-IgM-Syndroms sind auf intrinsische Defekte der Klassenwechselrekombination
bei den B-Zellen zurückzuführen. Patienten mit solchen Defekten sind anfällig für
gravierende Infektionen mit extrazellulären Bakterien, da aber Differenzierung und
Funktion der T-Zellen davon nicht betroffen sind, zeigen sie für intrazelluläre Pathogene
oder opportunistische Erreger wie P. jirovecii keine erhöhte Anfälligkeit. Ein Defekt
des Isotypwechsels wird durch Mutationen im Gen der aktivierungsinduzierten Cytidin-Desaminase
(AID) hervorgerufen, die sowohl für die somatische Hypermutation als auch für den
Isotypwechsel notwendig ist (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec8). Patienten
mit autosomal-rezessiv vererbbaren Mutationen im AID-Gen (AICDA) können den Isotyp
ihrer Antikörper nicht wechseln und zeigen nur eine sehr geringe somatische Hypermutation
(Abb. 13.5). Dadurch sammeln sich unreife B-Zellen in anormalen Keimzentren an und
führen zu einer Vergrößerung der Lymphknoten und der Milz. Vor Kurzem wurde bei einigen
wenigen Patienten, die einen autosomal-rezessiven Defekt im DNA-Reparaturenzym Uracil-DNA-Glycosylase
(UNG; Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec11) aufweisen, eine weitere Variante
der B-Zell-intrinsischen Hyper-IgM-Syndrome entdeckt. Auch dieses Enzym spielt beim
Isotypwechsel eine Rolle. Die Patienten zeigen eine normale AID-Funktion sowie eine
normale somatische Hypermutation, der Isotypwechsel ist jedoch defekt.
Weitere Beispiele für Immunschwächen, die vor allem antikörperabhängig sind, umfassen
die häufigsten Formen von primären Immunschwächen, die man als variables Immundefektsyndrom
(common varariable immunodeficiency, CVID ) oder Antikörpermangelsyndrom bezeichnet.
Sie sind eine klinisch und genetisch sehr heterogene Gruppe von Krankheiten, die im
Allgemeinen nicht vor der späten Kindheitsphase oder dem Erwachsenenalter diagnostiziert
werden, da die Immunschwäche relativ mild verläuft. Im Gegensatz zu anderen Immunschwächen
können Patienten mit CVID Defekte in der Immunglobulinproduktion aufweisen, die dann
auf einen oder mehrere Isotypen beschränkt ist (Abb. 13.5). Am häufigsten ist der
IgA-Defekt , der sowohl in familiärer als auch in sporadischer Form auftritt und autosomal-rezessiv
oder autosomal-dominant vererbt wird. Die Ursache eines IgA-Defekts lässt sich bei
den meisten Patienten nicht ermitteln, und diese Patienten sind auch symptomfrei.
IgA-defekte Patienten, die wiederkehrende Infektionen entwickeln, haben meist einen
zusätzlichen Defekt in einer der IgG-Unterklassen.
Eine kleine Gruppe der CVID -Patienten tragen Mutationen im Transmembranprotein TACI
(TNF-like receptor transmembrane activator and CAML interactor), das von dem Gen TNFRSF13B
codiert wird. TACI ist der Rezeptor für die Cytokine BAFF und APRIL, die von T-Zellen,
dendritischen Zellen und Makrophagen produziert werden und costimulierende sowie Überlebenssignale
für die Aktivierung und den Isotypwechsel der B-Zellen liefern (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec4).
Selektive Defekte der IgG-Unterklassen hat man ebenfalls bei Patienten gefunden. Die
Anzahl der B-Zellen ist bei diesen Patienten im Allgemeinen normal, aber der Spiegel
der betroffenen Immunglobuline im Serum ist stark verringert. Einige dieser Patienten
leiden zwar, wie in Fällen eines IgA-Defekts, an wiederkehrenden Infektionen durch
Bakterien, viele Betroffene sind aber auch symptomfrei. Es gibt CVID-Patienten mit
weiteren Störungen, die den Immunglobulinisotypwechsel beeinflussen. Dazu gehören
Patienten mit einem vererbbaren Defekt in CD19 , einem Bestandteil des B-Zell-Corezeptors
(Abb. 13.5). Eine genetisch bedingte Störung, die nur eine kleine Gruppe von CVID-Patienten
betrifft, ist ein Mangel an dem costimulierenden Molekül ICOS. Wie in Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_9#Sec19
beschrieben, wird ICOS von aktivierten T-Zellen stärker exprimiert. Die Auswirkungen
eines ICOS-Mangels haben bestätigt, dass ICOS bei der T-Zell-Unterstützung während
der späten Phasen der B-Zell-Differenzierung eine entscheidende Rolle spielt, etwa
beim Isotypwechsel und bei der Bildung von Gedächtniszellen.
Zuletzt wollen wir uns in diesem Abschnitt noch mit dem Hyper-IgE-Syndrom (HIES) beschäftigen,
das auch als Job-Syndrom bezeichnet wird. Diese Krankheit geht einher mit wiederkehrenden
Infektionen der Haut und der Lunge mit pyogenen Bakterien, einer chronischen Candidiasis
der Schleimhäute (eine nichtinvasive Pilzinfektion der Haut und der mucosalen Oberflächen),
sehr hohen IgE-Konzentrationen im Serum und einer chronischen ekzematischen Dermatitis
(Hautausschlag). HIES wird autosomal-rezessiv oder -dominant vererbt, wobei die zuletzt
genannte Form Anomalien des Skeletts und der Zähne hervorruft, die bei der rezessiven
Variante nicht auftreten. Der erbliche Defekt der autosomal-dominanten HIES-Variante
betrifft den Transkriptionsfaktor STAT3 , dessen Aktivierung mehreren Cytokinrezeptoren
nachgeschaltet ist, beispielsweise den Rezeptoren für IL-6, IL-22 und IL-23. STAT3
ist auch bei der Differenzierung der TH17-Zellen und der Aktivierung der ILC3-Zellen
von zentraler Bedeutung. Die durch IL-6 und IL-22 aktivierten STAT3-Signale sind außerdem
wichtig bei der Unterstützung der antimikrobiellen Abwehr durch die Epithelzellen
der Haut und der Schleimhäute. Da bei diesen Patienten die Differenzierung der TH17-Zellen
gestört ist, werden auch die neutrophilen Zellen nicht aktiviert, was normalerweise
von den TH17-Zellen bewerkstelligt wird. Ebenso wird IL-22 nicht produziert, ein bedeutsames
Cytokin, das die Produktion von antimikrobiellen Peptiden durch die Epithelzellen
aktiviert. Man nimmt an, dass dieser Defekt für die Beeinträchtigung der Abwehr von
extrazellulären Bakterien und Pilzen an den Epithelbarrieren verantwortlich ist, etwa
der Haut und der Schleimhäute. Die Ursache für den erhöhten IgE-Spiegel ist nicht
bekannt, kann aber durch eine anormale Aktivierung der TH2-Reaktionen in der Haut
und in den Schleimhäuten aufgrund des TH17-Defekts hervorgerufen werden. Bei einer
autosomal-rezessiven HIES-Variante liegt die Mutation im Gen für das Protein DOCK8
(dedicator of cytokinesis 8), dessen Funktion nur wenig bekannt ist. Da DOCK8 jedoch
wahrscheinlich für die T-Zell-Funktion und für die NK-Zell-Funktion von größerer Bedeutung
ist, unterscheidet sich diese HIES-Variante von den STAT3-Defekten durch zusätzliche,
opportunistische Infektionen und wiederholt auftretende Virusinfektionen der Haut
(beispielsweise durch Herpes simplex); außerdem kommt es zu Allergien und Autoimmunreaktionen.
Die normalen Signalwege der Immunabwehr gegen verschiedene Krankheitserreger lassen
sich aufgrund von genetisch bedingten Defekten der Cytokinwege, die für Typ-1/TH1-
und Typ-3/TH17-Reaktionen von zentraler Bedeutung sind, genau bestimmen
Man hat vererbbare Defekte der Cytokine sowie der zugehörigen Signalwege und Rezeptoren
bestimmt, die bei der Entwicklung und Funktion verschiedener Untergruppen der T-Effektorzellen
beteiligt sind. Hier soll es um solche Defekte gehen, die – anders als die oben beschriebenen
– nicht mit schwerwiegenden Mängeln in der Antikörperproduktion einhergehen. Es gibt
eine kleine Gruppe von Familien, bei denen einige Angehörige an persistierenden und
manchmal tödlich verlaufenden Infektionen durch intrazelluläre Pathogene leiden, insbesondere
durch Spezies von Mycobacterium, Salmonella und Listeria, die normalerweise von der
Typ-1-Immunität verhindert werden. Diese Mikroorganismen sind darauf spezialisiert,
in Makrophagen zu überleben, und ihre Beseitigung erfordert verstärkte antimikrobielle
Aktivitäten. Die wiederum werden durch IFN-γ induziert, das von Typ-1-Zellen, also
von NK-, ILC1- und TH1-Zellen, produziert wird (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_11#Sec3).
Dementsprechend wird die Anfälligkeit für diese Erreger durch eine Reihe verschiedener
Mutationen hervorgerufen, die die Funktion von IL-12 oder IFN-γ, den zentralen Cytokinen
für Entwicklung und Funktionsweise der Typ-1-Zellen, beeinträchtigen oder vollständig
blockieren (Abb. 13.7). Man hat Patienten gefunden, die Mutationen in den Genen tragen,
die die p40-Untereinheit von IL-12 (IL12B), die β
1-Kette des IL-12-Rezeptors (IL12RB1) und die beiden Untereinheiten (R1 und R2) des
IFN-γ-Rezeptors (IFNGR1 und IFNGR2) codieren. Betroffene Personen sind zwar für die
virulenteren Formen von M. tuberculosis anfälliger, erkranken aber häufiger an den
nichttuberkulösen (atypischen) Stämmen der Mycobakterien, etwa an M. avium, wahrscheinlich
weil diese atypischen Stämme in der Umgebung häufiger vorkommen. Die Betroffenen können
auch nach Impfung mit Mycobacterium bovis-Bacillus Calmette-Guérin (BCG) eine diffuse
Infektion entwickeln. (M. bovis wird als Lebendimpfstoff gegen M. tuberculosis verwendet.)
Da die p40-Untereinheit von IL-12 auch zu IL-23 gehört, führt ein IL-12-p40-Defekt
aufgrund der beeinträchtigten Typ-1- und Typ 3-(TH17-)Funktionen zu einem breiteren
Infektionsrisiko (Abb. 13.7). Entsprechend führt ein Defekt in der IL-12Rβ
1-Kette, die dem Rezeptor von IL-12 und IL-23 gemeinsam ist, ebenfalls zu einer umfangreicheren
Anfälligkeit, als Defekte in IFN-γ oder dem zugehörigen Rezeptor.
Autosomale Funktionsverlustmutationen von STAT1 beeinträchtigen die Signalgebung des
IFN-γ-Rezeptors und gehen auch mit einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen mit
Mycobakterien und anderen intrazellulären Bakterien einher (Abb. 13.7). Aufgrund der
gemeinsamen Funktion von STAT1 bei der Signalgebung des IFN-α- und des IFN-β-Rezeptors
als Reaktion auf IFN-α und IFN-β (Typ-I-Inteferone) sind Patienten mit einem STAT1-Defekt
ebenfalls für Virusinfektionen anfällig. Interessanterweise hat man auch Patienten
mit einem nur teilweisen Verlust der STAT1-Funktion gefunden, die für Infektionen
mit Mycobakterien anfällig sind, jedoch nicht für Virusinfektionen. Das deutet darauf
hin, dass STAT1 für einen Schutz vor den zuerst genannten notwendiger ist.
Neben den mit den TH17-Zellen zusammenhängenden Defekten, die oben für das Hyper-IgE-Syndrom
mit STAT3-Defekt beschrieben wurden (Abschn. 13.1.9), hat man weitere Defekte der
cytokinvermittelten Funktionen dieses Signalwegs entdeckt, die keine Hyper-E-Symptomatik
aufweisen (Abb. 13.8). Während die erhöhte Anfälligkeit für intrazelluläre Bakterien
ein gemeinsames Merkmal von Immunschwächen ist, die die Typ-1-Reaktionen betreffen,
ist eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infektionen mit Candida spp. und pyogenen
Bakterien (insbesondere C albicans und S. aureus) für diese Typ-3-Defekte charakteristisch.
Dies entspricht der speziellen Funktion der TH17- und ILC3-Zellen für die Abwehrbarrieren
gegen Pilze und extrazelluläre Bakterien. Vererbbare Defekte bei IL-17F und IL-17RA,
der gemeinsamen Rezeptorkomponente für homo- und heterodimere IL-17F-IL-17A-Liganden,
führen zu einer Anfälligkeit für diese Krankheitserreger. Hier zeigt sich die zentrale
Rolle der IL-17-Cytokine bei der Immunabwehr gegen diese Pathogene. Patienten mit
autosomal-dominanten Funktionsgewinnmutationen in STAT1 zeigen eine ähnliche Anfälligkeit
für eine chronische Candidiasis der Schleimhäute und für pyogene Bakterien. Da die
Entwicklung der TH17-Zellen dann von STAT1-Signalen, die verschiedenen Cytokinrezeptoren
(etwa Typ-I- und Typ-II-IFN-Rezeptoren) nachgeschaltet sind, beeinträchtigt wird,
zeigen Betroffene eine Störung ihrer Typ-3-Reaktionen. Dadurch unterscheiden sie sich
von Patienten mit einer STAT1-Funktionsverlustmutation, die aufgrund der defekten
Typ-I-Immunität eine Prädisposition für Infektionen mit intrazellulären Bakterien
tragen.
Neben den vererbbaren Defekten in den Genen der Effektorcytokine werden bei bestimmten
Immunschwächen Autoantikörper gegen diese Cytokine produziert. Die dadurch entstehenden
Infektionsrisiken ähneln denen bei primären Cytokindefekten. Die meisten Patienten
mit dem APECED-Syndrom (das durch Defekte des AIRE-Gens hervorgerufen wird; Abschn. 13.1.7)
entwickeln eine chronische Candidiasis der Schleimhäute, die auf die Produktion der
Autoantikörper gegen IL-17A, IL-17F und/oder IL-22 zurückzuführen ist. Darüber hinaus
gibt es Patienten mit neutralisierenden Antikörpern gegen IFN-γ, deren Immunschutz
vor Infektionen mit atypischen Mycobakterien gestört ist, wobei die genaue Ursache
dafür unbekannt ist.
Vererbbare Defekte der Cytolysewege der Lymphocyten können bei Virusinfektionen zu
einer unkontrollierten Lymphocytenproliferation und Entzündungsreaktionen führen
Cytolytische Granula entstehen aus Bestandteilen von späten Endosomen und Lysosomen.
Nach ihrer Ausformung sind weitere Schritte der Exocytose erforderlich, bis die cytolytischen
Granula von den cytotoxischen Zellen auf Zielzellen übertragen werden. Die Bedeutung
der Immunregulation für die cytolytischen Reaktionswege zeigt sich besonders bei vererbbaren
Defekten, die entscheidende Schritte entweder bei der Bildung oder bei der Exocytose
der cytolytischen Granula betreffen (Abb. 13.9). Dadurch kommt es zu einer schweren
und häufig tödlich verlaufenden Erkrankung, der hämophagocytischen Lymphohistiocytose
(HLH-Syndrom ), die mit einer unkontrollierten Aktivierung und Vermehrung von CD8-T-Lymphocyten
und Makrophagen einhergeht. Die Zellen infiltrieren mehrere Organe und rufen dort
Nekrosen hervor, was zum Versagen der Organe führt. Diese übermäßige Immunantwort
wird wahrscheinlich dadurch hervorgerufen, dass die cytotoxischen Zellen nach einer
anfänglichen Virusinfektion, insbesondere durch Vertreter der Familie der Herpesviren
(etwa das Epstein-Barr-Virus, EBV), nicht in der Lage sind, infizierte Zielzellen,
und möglicherweise auch sich selbst, zu zerstören. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten,
dass bei Patienten mit dieser Erkrankung, trotz der gestörten Freisetzung cytolytischer
Granula, die Freisetzung von IFN-γ durch die cytotoxische T-Lymphocyten (CTLs) und
NK-Zellen normalerweise nicht gestört ist und dies zu einer verstärkten Aktivität
der Makrophagen und der damit verbundenen Entzündung führt, die wiederum durch die
erhöhte Freisetzung der proinflammatorischen Cytokine wie TNF, IL-6 und M-CSF (Makrophagen-Kolonie-stimulierender
Faktor) ausgelöst wurde. Die aktivierten Makrophagen nehmen Blutzellen durch Phagocytose
auf, darunter auch Erythrocyten und Leukocyten (daher die Bezeichnung des Syndroms).
Es gibt eine Reihe von autosomal-rezessiven Varianten der HLH, die man auch als familiäre
hämophagocytische Lymphohistiocytose (FHL ) bezeichnet. Sie unterscheiden sich durch
das jeweils betroffene Protein im cytolytischen Reaktionsweg (Abb. 13.9). Beispiele
sind vererbbare Defekte des Proteins Perforin in den cytolytischen Granula, das für
die Ausbildung der Pore in der Zielzelle erforderlich ist (bei einem Defekt kommt
es zur FHL2). Andere Defekte betreffen die Proteine Munc13-4 (FHL3), Syntaxin 11 (FHL4),
ein Protein der SNARE-Familie (SNARE für soluble N-ethylmaleimide-sensitive factor
accessory protein receptor), das die Membranfusion vermittelt, und Munc18-2 (FHL5),
das bei der Umstrukturierung des SNARE-Komplexes für die Aktivierung des Fusionsvorgangs
mitwirkt. Da Komponenten der Biogenese und Exocytose der cytolytischen Granula auch
in anderen sekretorischen Vesikeln, etwa in den Lysosomen, vorkommen, kann es bei
betroffenen Personen zu weiteren Immundefekten, aber auch zu Nichtimmundefekten kommen.
So gehen beispielsweise einige Immunschwächen, bei denen die Funktion der cytolytischen
Granula beeinträchtigt ist, mit einem teilweisen Verlust der Hautpigmentierung einher.
Das ist auf Defekte der Proteine für den Vesikeltransport zurückzuführen, die auch
für die Exocytose der Melanosomen (Organellen, die in den Melanocyten das Hautpigment
Melanin speichern) benötigt werden. Beispiel für diese Immunschwächen sind das Chediak-Higashi-Syndrom
, das durch Mutationen im CHS1-Protein verursacht wird, welches den lysosomalen Transport
reguliert, und das Griscelli-Syndrom , das von Mutationen im Gen für die kleine GTPase
RAB27a (Abb. 13.9) hervorgerufen wird, die für die Befestigung bestimmter Vesikel,
auch der cytolytischen Granula, an den Strukturen des Cytoskeletts essenziell ist,
da erst so deren intrazellulärer Transport ermöglicht wird.
Bei Patienten mit Chediak-Higashi-Syndrom sammeln sich in den T-Lymphocyten, myeloischen
Zellen, Blutplättchen und Melanocyten riesige Formen der Lysosomen und Granula an.
Die Haare der Betroffenen haben eine silbermetallisch schimmernde Farbe, das Sehvermögen
ist aufgrund der anormalen Pigmentzellen in der Retina stark eingeschränkt und die
Fehlfunktion der Blutplättchen führt zu verstärkten Blutungen. Da bei diesen Patienten
die Vesikelfusion der Phagocyten ebenfalls gestört ist, können intrazelluläre und
extrazelluläre Pathogene nicht wirksam abgetötet werden, und auch die cytolytische
Funktion der CTL- und NK-Zellen ist defekt. Betroffene Kinder leiden deshalb schon
früh an schweren wiederkehrenden Infektionen durch verschiedene Bakterien und Pilze.
Danach entwickelt sich im Allgemeinen eine hämophagocytische Lymphohistiocytose, die
häufig durch eine Virusinfektion, beispielsweise mit EBV, ausgelöst wird, was dann
die Krankheit noch weiter beschleunigt. Man kennt drei Varianten des Griscelli-Syndroms
, die jeweils von einem anderen Gendefekt ausgelöst werden. Bei der Typ-2-Variante
(Mutation in RAB27A ) führt der Defekt sowohl zu einer Immunschwäche als auch zu Pigmentanomalien,
bei den Typen 1 und 3 kommt es nur zu Pigmentanomalien. Die Immundefekte bei Kindern
mit dem Griscelli-Syndrom Typ 2 ähneln zwar in vielfacher Hinsicht dem Chediak-Higashi-Syndrom,
wobei jedoch in den myeloischen Zellen keine Riesengranula auftreten.
Das X-gekoppelte lymphoproliferative Syndrom geht mit einer tödlich verlaufenden Infektion
durch das Epstein-Barr-Virus und der Entwicklung von Lymphomen einher
Bei einigen primären Immunschwächekrankheiten besteht eine Anfälligkeit nur für ein
bestimmtes Pathogen. Das ist etwa bei zwei seltenen X-gekoppelten Immunschwächen der
Fall, die jeweils durch einen ähnlichen lymphoproliferativen Defekt gekennzeichnet
sind, der von einem Virus der Herpes-simplex-Familie – dem Epstein-Barr-Virus (EBV)
– hervorgerufen wird, wobei die Mechanismen unterschiedlich sind. EBV infiziert spezifisch
die B-Zellen und verursacht bei sonst gesunden Personen eine sich selbst begrenzende
Infektion, da das Virus durch die Aktivitäten der NK-, NKT- und cytotoxischen T-Zellen,
die für B-Zellen spezifisch sind, die EBV-Antigene exprimieren, unter Kontrolle gebracht
wird. Nach Entwicklung einer Immunität gegen EBV wird das Virus nicht vollständig
beseitigt, sondern bleibt in den B-Zellen in einer latenten Form erhalten (Abschn. 13.2.6).
Bei bestimmten Arten von Immunschwächen kann diese Kontrolle verloren gehen, sodass
es zu einer überbordenden EBV-Infektion (einer schweren infektiösen Mononucleose)
kommt, die mit einer unregulierten Proliferation der EBV-infizierten B-Zellen und
der cytotoxischen T-Zellen, einer Hypogammaglobulinämie (geringe Mengen an zirkulierenden
Immunglobulinen), einhergeht. Dadurch besteht das Risiko, dass sich Non-Hodgkin-Lymphome
entwickeln. Diese treten bei der seltenen Immunschwäche des X-gekoppelten lymphoproliferativen
(XLP-)Syndroms auf. Das XLP-Syndrom entsteht durch Mutationen in einem der beiden
X-gekoppelten Gene SH2D1A (SH2 domain-containing gene 1A) und XIAP. Ersteres codiert
SAP (signaling lymphocyte activation molecule (SLAM-)associated protein), Letzteres
codiert den X-gekoppelten Apoptoseinhibitor .
Beim XLP1-Syndrom , von dem etwa 80 % der Patienten mit einem der beiden Syndrome
betroffen sind, führt der SAP-Defekt dazu, dass in den T-, NKT- und NK-Zellen die
Kopplung zwischen den Immunzellrezeptoren der SLAM-Familie und der Tyrosinkinase Fyn
aus der Src-Familie verloren geht (Abb. 13.10). Proteine der SLAM-Familie interagieren
über homo- und heterotypische Bindungen und beeinflussen so das Ergebnis der Wechselwirkungen
zwischen T-Zellen und antigenpräsentierenden Zellen sowie zwischen NK-Zellen und ihren
Zielzellen. Wenn SAP fehlt, entwickeln sich ineffektive EBV-spezifische Reaktionen
der cytotoxischen T-Zellen und NK-Zellen und es besteht ein schwerwiegender Mangel
an NKT-Zellen . Das deutet darauf hin, dass SAP bei der Kontrolle von EBV-Infektionen
und bei der Entwicklung der NKT-Zellen eine nichtredundante Funktion besitzt. Es kommt
zu einer unregulierten Proliferation von EBV-reaktiven cytotoxischen T- und NK-Zellen,
die eine systemische Aktivierung von Makrophagen, Entzündungsreaktionen und hämophagocytotische
Symptome hervorruft. Dies ähnelt den Auswirkungen von Immunschwächen, die aufgrund
von Defekten des Cytolysewegs entstehen (Abschn. 13.1.11). Darüber hinaus führt die
defekte SLAM-Signalgebung zwischen TFH- und B-Zellen bei den XLP1-Patienten zu einer
Störung der T-abhängigen Antikörperreaktionen und zu einer Hypogammaglobulinämie.
Defekte des XIAP-Proteins , das normalerweise die TNF-Rezeptor-assoziierten Faktoren
TRAF1 und TRAF2 bindet und die Aktivierung von apoptoseinduzierenden Caspasen blockiert
(Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec28), führen zu einem ähnlichen X-gekoppelten
Syndrom mit der Bezeichnung XLP2 (Abb. 13.10). Bei einem XIAP-Defekt ist die Apoptoseaktivität
verstärkt und der Umsatz von aktivierten T- und NK-Zellen erhöht. Seltsamerweise führt
dies zu einem Phänotyp, der dem von XLP1 ähnlich ist, wobei die Grundlagen dafür noch
unklar sind. Wie beim XLP1-Syndrom kommt es auch hier zu einer gravierenden Ausdünnung
der NKT-Zellen. Das deutet darauf hin, dass XIAP wie SAP für den normalen Erhalt dieser
Zellen benötigt wird. Wie beim XLP1-Syndrom ist auch beim XLP2-Syndrom die Kontrolle
von EBV-Infektionen beeinträchtigt, wobei sich dies nicht so stark auswirkt. Die genaue
Ursache für die gestörte Unterdrückung der EBV-Latenz bei diesen Immunschwächen ist
allerdings noch ungeklärt.
Durch vererbbare Defekte bei der Entwicklung der dendritischen Zellen werden ebenfalls
Immunschwächen hervorgerufen
Die Erkenntnisse über Vielfalt und Funktionen der dendritischen Zellen wurden zum
einen durch Untersuchungen an Mäusen gewonnen, bei denen man gezielt einzelne Gene
von Transkriptionsfaktoren deletiert hat, wodurch sich bestimmte Untergruppen dieser
Zellen nicht mehr bildeten. Zum anderen kam es aufgrund des Verlustes dieser Untergruppen
zu einer Anfälligkeit für bestimmte Pathogene. Beim Menschen, bei dem die Untersuchung
der Entwicklung und Funktion der dendritischen Zellen schwieriger ist, hat die Identifizierung
von primären Immunschwächen, die aufgrund von Defekten in Genen für die Transkriptionsfaktoren
GATA2 und IRF8 entstehen, erste Einblicke in die relative Bedeutung dieser Zellen
bei verschiedenen Spezies geliefert.
Bei der größten Gruppe von Patienten mit einem vererbbaren Mangel an dendritischen
Zellen hat man eine autosomal-dominante Mutation von GATA2 als Ursache erkannt. Bei
den betroffenen Personen kommt es zu einem fortschreitenden Verlust aller Untergruppen
der dendritischen Zellen (konventionelle und plasmacytoide Zellen) und der Monocyten,
außerdem verringert sich die Anzahl der lymphatischen B- und NK-Zellen. Diese Krankheit
bezeichnet man als DCML-Defekt . Die Anzahl der T-Zellen ist bei diesen Patienten
zwar normal, aber ihre Funktion wird durch den Verlust der dendritischen Zellen beeinträchtigt.
Das Fehlen der Produkte von mehreren (nicht von allen) hämatopoetischen Zelllinien
deutet auf eine redundante Funktion von GATA2 in den nicht betroffenen Linien hin.
Die Ursache für diesen fortschreitenden Verlust von Zelllinien ist unbekannt. Man
nimmt aber an, dass sich hier die Funktion von GATA2 für den Erhalt von Vorläuferstammzellen
zeigt, aus denen diese Populationen hervorgehen. Bei einem Verlust aller dendritischen
Zellen und Monocyten kommt es bei den Betroffenen zu einer Vielzahl von Immundefekten
und Anfälligkeiten für Krankheitserreger. Diese Patienten unterliegen einem großen
Risiko für hämatologische Erkrankungen.
Die ersten zwei vererbbaren Defekte, die man spezifischen Entwicklungsstörungen der
dendritischen Zellen zuordnen konnte, betreffen den interferonregulierenden Faktor
IRF8 . Bei beiden Varianten liegt die Mutation in der DNA-Bindungsdomäne des Transkriptionsfaktors.
Bei einer autosomal-rezessiven Form gehen die Monocyten und alle Arten von zirkulierenden
dendritischen Zellen verloren; es gibt keinerlei konventionelle oder plasmacytoide
dendritische Zellen. Da die dendritischen Zellen für die naiven T-Zellen die primären
antigenpräsentierenden Zellen sind, führt ihr Mangel zu einer gestörten Entwicklung
der T-Effektorzellen, und Patienten mit diesen Defekten sind schon früh in ihrem Leben
anfällig für eine Reihe schwerer opportunistischer Infektionen, etwa durch intrazelluläre
Bakterien, Viren und Pilze. Es kommt auch zu einer auffälligen Vermehrung von zirkulierenden
unreifen Granulocyten. Das liegt wahrscheinlich an einer „Umwidmung“ der myeloischen
Vorläuferzellen zur Granulocytenlinie, wenn der Entwicklungsweg der Monocyten/dendritischen
Zellen fehlt. Im Gegensatz dazu kommt es bei Patienten mit einer autosomal-dominanten
Vererbung eines dominant-negativen IRF8-Allels zu einem weniger gravierenden Phänotyp,
der durch einen weniger selektiven Mangel an CD1c-positiven dendritischen Zellen gekennzeichnet
ist (wahrscheinlich entsprechen diese Zellen der CD11b-positiven Untergruppe bei den
dendritischen Zellen der Maus). Das führt schließlich zu einer erhöhten Anfälligkeit
für intrazelluläre Bakterien, insbesondere für atypische Mycobacterium-Spezies, allerdings
ohne lymphoproliferatives Syndrom wie bei den Patienten mit der autosomal-rezessiven
Variante.
Defekte bei Komplementfaktoren und komplementregulatorischen Proteinen schwächen die
humorale Immunantwort und verursachen Gewebeschäden
Die bis hier besprochenen Erkrankungen sind vor allem auf Störungen des adaptiven
Immunsystems zurückzuführen. In den nächsten beiden Abschnitten wollen wir uns mit
einigen Immunschwächekrankheiten beschäftigen, die Zellen und Moleküle des angeborenen
Immunsystems betreffen. Wir beginnen mit dem Komplementsystem, das über einen von
drei Signalwegen aktiviert werden kann, die alle auf die Spaltung des Komplementproteins
C3 zulaufen, sodass dieses kovalent an die Oberfläche von Pathogenen binden und dort
als Opsonin wirken kann (Kap. 10.1007/978-3-662-56004-4_2). Daher ist es nicht erstaunlich,
dass das Spektrum an Infektionen, das mit Komplementdefekten zusammenhängt, deutlich
mit den Infektionen überlappt, die man bei Patienten mit einer gestörten Antikörperproduktion
beobachten kann. Insbesondere kommt es zu einer erhöhten Anfälligkeit für extrazelluläre
Bakterien, für deren Beseitigung durch Phagocyten eine Opsonisierung mit Antikörpern
und/oder Komplementproteinen erforderlich ist (Abb. 13.11). Wenn die Aktivierung von
C3 über einen der drei Signalwege gestört oder C3 selbst von einem Defekt betroffen
ist, hat dies eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen mit einer Reihe von pyogenen
Bakterien zur Folge, etwa mit Streptococcus pneumoniae. Dies unterstreicht die Bedeutung
von C3 als zentrales Effektormolekül, das die Phagocytose und die Beseitigung von
kapseltragenden Bakterien fördert.
Defekte in Komponenten des membranangreifenden Komplexes , das heißt in den Komplementproteinen
C5 bis C9, die der C3-Aktivierung nachgeschaltet sind, haben nur begrenzte Auswirkungen
und führen fast ausschließlich zu einer Anfälligkeit für Neisseria -Spezies. Eine
ähnliche Anfälligkeit für Neisseria tritt auch bei Patienten mit Defekten von Faktor D
und Properdin auf, zwei Komponenten des alternativen Komplementwegs. Das deutet darauf
hin, dass die Abwehr dieser Bakterien, die intrazellulär überleben können, zu einem
großen Teil über die antikörperabhängige extrazelluläre Lyse durch den membranangreifenden
Komplex erfolgt. Ergebnisse einer großen Bevölkerungsstudie in Japan, wo endemische
Infektionen mit N. meningitides selten sind, zeigen, dass eine gesunde Person jedes
Jahr einem Risiko von 1 zu 2.000.000 ausgesetzt ist, von diesen Organismen infiziert
zu werden. Ein Mensch aus derselben Population mit einem vererbbaren Defekt in einem
der Proteine des membranangreifenden Komplexes unterliegt einem Risiko von 1 zu 200
– immerhin eine Erhöhung des Infektionsrisikos um den Faktor 10.000.
Die frühen Komponenten des klassischen Komplementwegs besitzen für die Beseitigung
von Immunkomplexen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_10#Sec22) und apoptotischen
Zellen eine besondere Bedeutung, da beide bei Autoimmunkrankheiten deutlich pathologische
Auswirkungen haben können, etwa beim systemischen Lupus erythematodes . Diese Besonderheit
von vererbbaren Komplementdefekten wird in Kap. 10.1007/978-3-662-56004-4_15 besprochen.
Defekte des mannosebindenden Lektins (MBL), das die Komplementaktivierung unabhängig
von Antikörpern in Gang setzt (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_2#Sec9) sind relativ
häufig (betroffen sind 5 % der Bevölkerung). Ein MBL-Mangel kann mit einer leichten
Immunschwäche einhergehen, die in der frühen Kindheit zu vermehrten bakteriellen Infektionen
führt. Ein ähnlicher Phänotyp tritt bei Patienten auf, die einen Defekt im MASP2-Gen
für die MBL-assoziierte Serinprotease 2 tragen.
Eine andere Gruppe von Krankheiten, die mit dem Komplementsystem zusammenhängen, wird
durch Defekte in den komplementregulierenden Proteinen hervorgerufen (Abb. 13.12).
Defekte der membranassoziierten Komplementkontrollproteine DAF (decay-accelerating
factor) oder CD59 (Protectin), die sonst die Oberfläche der Körperzellen vor der Komplementaktivierung
schützen, führen zur Zerstörung der roten Blutkörperchen, was eine paroxysmale nächtliche
Hämoglobinurie (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_2#Sec19) zur Folge hat. Defekte
der löslichen komplementregulatorischen Proteine, etwa Faktor I und Faktor H, können
sich auf verschiedene Weise auswirken. Ein homozygoter Faktor-I-Defekt kommt nur selten
vor und führt zu einer unkontrollierten Aktivität der C3-Konvertase des alternativen
Komplementwegs, was letztendlich einen C3-Mangel hervorruft (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_2#Sec19).
Defekte von MCP, Faktor I oder Faktor H können eine Erkrankung verursachen, die man
als atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom bezeichnet. Dabei kommt es zur Lyse
der roten Blutkörperchen (Hämolyse, daher der Name) und zu einer Störung der Nierenfunktion
(Urämie).
Bei Patienten mit einem Defekt des C1-Inhibitiors zeigen sich die Folgen eines Ausfalls
von komplementregulatorischen Proteinen in besonders auffälliger Weise. Hier kommt
es zu einem Syndrom, das man als erbliches Angioödem (HAE, Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_2#Sec19)
bezeichnet. Bei einem Defekt des C1-Inhibitors ist die Regulation sowohl der Blutgerinnung
als auch der Komplementaktvierung gestört und es kommt zu einer übermäßigen Produktion
von gefäßaktiven Mediatoren, die Flüssigkeitsansammlungen (Ödeme) im Gewebe und eine
lokale Schwellung des Kehlkopfs hervorrufen, die zum Ersticken führen kann.
Defekte in Phagocyten ermöglichen ausgedehnte bakterielle Infektionen
Eine zu geringe Anzahl oder mangelnde Funktion der Phagocyten können mit einer schweren
Immunschwäche verknüpft sein. Tatsächlich macht das vollständige Fehlen neutrophiler
Zellen ein Überleben in der normalen Umgebung unmöglich. Es gibt vier Formen von Immunschwächen
der Phagocyten: Defekte bei der Bildung, Adhäsivität und Aktivierung von Phagocyten
sowie beim Abtöten von Mikroorganismen durch die Phagocyten (Abb. 13.13). Wir werden
uns damit nacheinander beschäftigen.
Erbliche Defekte der Produktion von neutrophilen Zellen (Neutropenien ) werden entweder
als schwere angeborene Neutropenie (severe congenital neutropenia, SCN) oder als zyklische
Neutropenie eingeordnet. Bei einer schweren angeborenen Neutropenie, die dominant
oder rezessiv vererbt wird, ist die Anzahl der neutrophilen Zellen dauerhaft extrem
niedrig und liegt bei weniger als 0,5 × 109 pro Liter Blut (normal wären 3–5,5 × 109
pro Liter). Bei der zyklischen Neutropenie wechselt die Anzahl der neutrophilen Zellen
von annähernd normal bis hin zu sehr niedrig oder nicht mehr nachweisbar, wobei ein
Zyklus etwa 21 Tage dauert. Dadurch kommt es zu einem periodisch auftretenden Infektionsrisiko.
Die häufigste Ursache sind sporadische oder autosomal-dominante Mutationen im ELA2-Gen
der Neutrophilen-Elastase, einem Bestandteil der azurophilen (primären) Granula, die
beim Abbau der phagocytierten Mikroorganismen zum Einsatz kommen. Die veränderte Bindung
der Elastase an die Granula führt bei sich entwickelnden Myelocyten zur Apoptose und
zu einer Blockade der Entwicklung im Promyelocyten/Myelocyten-Stadium. Einige Mutationen
von ELA2 rufen eine zyklische Neutropenie hervor. Wie die defekte Elastase bei der
Neutropenie den 21-tägigen Zyklus hervorbringt, ist weiterhin ein Rätsel. Eine seltene
autosomal-dominante Form der SCN wird durch Mutationen im Onkogen GFI1 verursacht,
das einen Transkriptionsrepressor codiert, der auf das ELA2-Gen einwirkt. Zu diesem
Befund kam es aufgrund der unerwarteten Beobachtung, dass Mäuse, denen das Gfi1-Protein
fehlt, aufgrund einer Überexpression des ELA2-Gens eine Neutropenie entwickeln.
Es gibt auch autosomal-rezessive Formen der SCN. Ein Defekt des mitochondrialen Proteins
HAX1 führt bei sich entwickelnden myeloischen Zellen zu einer erhöhten Apoptoserate.
Dadurch entwickelt sich eine schwerwiegende Neutropenie, die man als Kostmann-Syndrom
bezeichnet. Die erhöhte Neigung der sich entwickelnden neutrophilen Zellen zur Apoptose
wird bei der SCN besonders deutlich, die mit genetisch bedingten Defekten im Glucosestoffwechsel
verknüpft ist. Patienten mit rezessiven Mutationen in den Genen für die katalytische
Untereinheit 3 der Glucose-6-phosphatase (G6PC3) oder die Glucose-6-phosphat-Translokase
(SLC37A4) zeigen während der Entwicklung der Granulocyten ebenfalls eine erhöhte Apoptoserate,
was zu einer Neutropenie führt. Eine erworbene Neutropenie aufgrund einer Chemotherapie,
einer bösartigen Erkrankung oder einer aplastischen Anämie geht mit einem ähnlichen
Spektrum an schweren Infektionen mit pyogenen Bakterien einher. Eine Neutropenie kann
schließlich auch im Zusammenhang mit anderen primären Immunschwächekrankheiten auftreten,
beispielsweise beim CD40-Ligand-Defekt, CVID, XLA, dem Wiskott-Aldrich-Syndrom und
dem GATA2-Defekt. Bei einigen Patienten bilden sich Autoantikörper, die eine beschleunigte
Zerstörung der neutrophilen Zellen hervorrufen.
Wenn bei der Wanderung der phagocytotischen Zellen zu Infektionsherden außerhalb der
Blutgefäße Defekte auftreten, kann es zu einer schweren Immunschwäche kommen. Leukocyten
gelangen zu den Infektionsherden, indem sie die Blutgefäße durch einen genau regulierten
Prozess (Abb. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Fig31) verlassen. Defekte der Moleküle,
die an den einzelnen Phasen dieses Vorgangs beteiligt sind, können verhindern, dass
neutrophile Zellen und Makrophagen in infizierte Gewebe eindringen können; man spricht
dann von Leukocytenadhäsionsdefekten (LADs). Defekte der gemeinsamen β
2-Untereinheit CD18 des Leukocytenintegrins, die eine Komponente von LFA-1, MAC-1
und p150:95 ist, verhindert, dass die Leukocyten zu den Infektionsherden wandern,
da sich die Zellen damit nicht mehr an das Endothel heften können. Da dies der erste
LAD war, der beschrieben wurde, bezeichnet man ihn heute als Typ-1-LAD oder LAD-1;
es handelt sich dabei um die häufigste LAD-Variante. Bei Patienten, denen aufgrund
eines Mangels des GDP-Fucose-spezifischen Transportproteins, das an der Biosynthese
von Sialyl-Lewisx und anderen fucosylierten Liganden der Selektine mitwirkt, die Sialyl-Lewisx-Einheit
fehlt (ein Defekt, der relativ selten auftritt), nimmt das Entlangrollen der Leukocyten
auf dem Endothel ab. Diesen Defekt bezeichnet man als Typ-2-LAD oder LAD-2. LAD-3
entsteht durch einen Defekt von Kindlin-3 , einem Protein, das für die feste Adhäsion
der Zellen verantwortlich ist, indem es den hochaffinen Bindungszustand der β-Integrine
induziert. Alle LAD-Varianten zeigen ein autosomal-rezessives Vererbungsmuster und
gehen bereits in einer frühen Lebensphase mit schweren, lebensbedrohlichen Infektionen
durch Bakterien und Pilze einher. Dabei ist die Wundheilung gestört und bei einer
Infektion mit pyogenen Bakterien wird kein Eiter gebildet. Die bei diesen Patienten
auftretenden Bakterien sind auch gegenüber einer Antibiotikabehandlung resistent.
Bei LAD-3 ist zudem die Aggregation der Blutplättchen gestört, sodass es verstärkt
zu Blutungen kommt.
Ein zentraler Schritt bei der Aktivierung der angeborenen Immunzellen, etwa der Phagocyten,
ist die Erkennung von mikrobenassoziierten molekularen Mustern durch die Toll-like-Rezeptoren
(TLRs, Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Sec6). Man kennt inzwischen verschiedene
primäre Immunschwächekrankheiten , die durch Defekte der intrazellulären Signalkomponenten
der TLRs hervorgerufen werden. Mit Ausnahme von TLR-3 erfordert die Signalgebung der
Toll-like-Rezeptoren das Adaptorprotein MyD88 , das die Kinasen IRAK4 und IRAK1 ,
die für die nachgeschaltete Aktivierung von NFκB und der MAP-Kinase-Wege (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Sec8)
erforderlich sind, rekrutiert und aktiviert. Autosomal-rezessive Mutationen in den
Genen, die MyD88 oder IRAK4 codieren, verursachen einen ähnlichen Phänotyp: wiederkehrende
schwere periphere und invasive Infektionen durch pyogene Bakterien, die nur eine geringe
Entzündungsreaktion, eine „kalte Infektion“, hervorrufen. Viele der Signalfunktionen
von MyD88 und der IRAK4-Moleküle stimmen mit denen der IL-1-Rezeptor-Familie überein.
Demnach ist zumindest ein Teil der Immunschwäche bei Patienten mit vererbbaren Defekten
dieser Moleküle auf die fehlerhafte Signalgebung der IL-1-Proteine zurückzuführen.
Dem ist noch hinzuzufügen, dass der NEMO-Defekt , der den Isotypwechsel der B-Zellen
beeinträchtigt (Abschn. 13.1.9), auch die Signalgebung der TLR- und IL-1-Rezeptor-Familie
stört, indem er die normale Aktivierung von NFκB verhindert. Immunschwächen , die
mit NEMO-Defekten zusammenhängen, betreffen daher sowohl die adaptive als auch die
angeborene Immunität. Interessant ist dabei, dass bei Patienten mit MyD88-Mutationen
Virusinfektionen nicht unbedingt zunehmen, obwohl dieses Protein an allen Signalen
der TLRs, die DNA erkennen, beteiligt ist (beispielsweise TLR-7, TLR-8 und TLR-9);
die einzige Ausnahme ist TLR-3. Das deutet darauf hin, dass die Aktivierung der interferonregulierenden
Faktoren (IRFs), die Interferonreaktionen auslösen, die diesen TLRs nachgeschaltet
sind, trotz der Defekte in MyD88 weiterhin funktioniert.
Bemerkenswert ist dabei, dass unter den zehn TLRs, die man beim Menschen gefunden
hat, bis jetzt TLR-3 als einziger mit einer Immunschwäche in Zusammenhang gebracht
wurde. Es sind zwar Defekte in anderen TLRs bekannt (etwa in TLR-5), aber sie rufen
nicht den Phänotyp einer Immunschwäche hervor; das weist auf ein hohes Maß an Redundanz
hin. Andererseits leiden Patienten mit einer hemizygoten (dominanten) oder homozygoten
(rezessiven) Mutation im TLR-3-Gen wahrscheinlich aufgrund einer gestörten Produktion
der Typ-1-Interferone durch die Nervenzellen an wiederkehrenden Infektionen mit dem
Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1) im Zentralnervensystem (Herpes-simplex-Encephalitis).
TLR-3 erkennt doppelsträngige RNA. Personen mit vererbbaren Defekten von Molekülen,
die an der TLR-3-Signalgebung mitwirken (beispielsweise TRIF, TRAF3 und TBK1) sind
in ähnlicher Weise auch anfällig für eine HSV-1-Encephalitis, genauso wie Patienten
mit Defekten im TLR-Transportprotein UNC93B1 , das für den Transport von TLR-3 aus
dem endoplasmatischen Reticulum in das Endolysosom notwendig ist. Interessant ist
dabei, dass die Leukocyten dieser Patienten in ihrer Reaktion auf die TLR-3-Liganden
oder HSV-1 keinen Defekt aufweisen. Das deutet darauf hin, dass die TLR-3-Funktion
bei diesen Zellen redundant ist, nicht jedoch im Zentralnervensystem. Entsprechend
zeigen diese Patienten nur eine begrenzte Prädisposition für andere Virusinfektionen.
Es besteht also vor den meisten übrigen Arten von Virusinfektionen ein TLR-3-unabhängiger
Schutz.
Es gibt auch genetisch bedingte Defekte, die die Signalgebung von Mustererkennungsrezeptoren
(PRRs) beeinflussen, die keine TLRs sind. CARD9 ist ein Adaptormolekül, das an der
Signalgebung mitwirkt, die den C-Typ-Lektin-Rezeptoren (Dectin-1 , Dectin-2 ) auf
myeloischen Zellen und dem auf Makrophagen induzierbaren C-Typ-Lektin (MINCLE) nachgeschaltet
ist. Diese Moleküle erkennen mit Pilzen assoziierte molekulare Muster und ihre Signale
über CARD9 führen dazu, dass proinflammatorische Cytokine wie IL-6 und IL-23 sezerniert
werden (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Sec2). Autosomal-rezessive CARD9-Defekte
führen zu einer Störung der TH17-Reaktionen auf Pilze, sodass Patienten mit einem
solchen Defekt, genauso wie Patienten mit einer fehlerhaften IL-17-Immunität (beispielsweise
bei einem IL-17RA- oder IL-17F-Defekt; Abschn. 13.1.10), an einer chronischen Candidiasis
der Schleimhäute leiden. Darüber hinaus können diese Patienten jedoch auch an Infektionen
mit Dermatophyten erkranken, die als ubiquitäre filamentöse Pilze sonst für Infektionen
der Hautoberfläche und der Nägel verantwortlich sind, beispielsweise als sogenannter
Fußpilz (Tinea pedis ).
Die meisten übrigen Defekte der phagocytotischen Zellen wirken sich auf deren Fähigkeit
aus, Mikroorganismen aufzunehmen und im Zellinneren zu zerstören (Abb. 13.13). Patienten
mit einer septischen Granulomatose (chronische Granulomatose, CGD) sind für Infektionen
durch Bakterien oder Pilze hoch anfällig. Da die Phagocyten die aufgenommenen Bakterien
nicht abtöten können, entwickeln sich Granulome (Abb. 10.1007/978-3-662-56004-4_11#Fig13).
Der Defekt betrifft dabei die Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) wie
etwa das Superoxidanion (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Sec3). Als man den molekularen
Defekt bei dieser Krankheit entdeckt hatte, gewann die Vorstellung an Bedeutung, dass
die Bakterien durch diese Moleküle direkt getötet werden. Allerdings hat sich inzwischen
herausgestellt, dass die Erzeugung der ROS allein nicht ausreicht, die Mikroorganismen
zu töten. Man nimmt jetzt an, dass die ROS einen Zustrom von K+-Ionen in die phagocytotische
Vakuole hervorrufen, wodurch sich der pH-Wert auf den für die Aktivität der antimikrobiellen
Peptide und Proteine optimalen Wert erhöht, die dann erst die eingedrungenen Mikroorganismen
abtöten.
Genetisch bedingte Defekte, die eine der Untereinheiten der NADPH-Oxidase beeinträchtigen,
die in neutrophilen Zellen und Monocyten exprimiert wird (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Sec3),
können ebenfalls eine septische Granulomatose hervorrufen. Patienten mit dieser Erkrankung
leiden an chronischen Infektionen durch Bakterien, die in einigen Fällen zur Bildung
von Granulomen führen. Defekte der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase (G6DP) und der
Myeloperoxidase (MPO) beeinträchtigen ebenfalls das Abtöten von Bakterien und führen
zu einem ähnlichen, allerdings weniger gravierenden Phänotyp.
Mutationen in den molekularen Entzündungsregulatoren können unkontrollierte Entzündungsreaktionen
verursachen, die zu einer „autoinflammatorischen Erkrankung“ führen
Es gibt eine geringe Anzahl von Krankheiten, bei denen die Mutationen in Genen liegen,
die Leben, Aktivität und Absterben der Entzündungszellen kontrollieren. Diese Erkrankungen
gehen mit schweren Entzündungssymptomen einher. Sie führen zwar nicht zu einer Immunschwäche,
aber wir haben sie trotzdem in dieses Kapitel aufgenommen, da es sich um Einzelgendefekte
handelt, die einen zentralen Bestandteil der angeborenen Immunität betreffen – die
Entzündungsreaktion. In diesen Fällen versagen die normalen Mechanismen, die eine
Entzündung begrenzen, und man bezeichnet sie als autoinflammatorische Erkrankungen
. Hier kommt es zu einer Entzündung, selbst wenn gar keine Infektion vorhanden ist
(Abb. 13.14). Das familiäre Mittelmeerfieber (FMF) geht mit episodischen Anfällen
von chronischen Entzündungen einher, die im gesamten Körper an verschiedenen Stellen
entstehen können. Dabei kommt es zu Fieber, einer Akute-Phase-Reaktion (Abschn. 13.1.18)
und starker Übelkeit. Die Pathogenese des FMF war lange Zeit ein Rätsel, bis man entdeckte,
dass es sich um Mutationen im MEFV-Gen handelt, welches das Protein Pyrin codiert
(es trägt seinen Namen, da es mit dem Auftreten von Fieber zusammenhängt). Pyrin und
Proteine mit Pyrindomänen sind Bestandteile von Signalwegen, die bei Entzündungszellen
zur Apoptose führen oder auch die Freisetzung von proinflammatorischen Cytokinen (etwa
von IL-1β) blockieren. Man vermutet, dass es zu einer unregulierten Cytokinaktivität
und einem Defekt der Apoptose kommt, wenn kein funktionsfähiges Pyrin vorhanden ist.
Dadurch können Entzündungsreaktionen nicht mehr kontrolliert werden. Bei Mäusen führt
ein Fehlen von Pyrin zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Lipopolysacchariden
und zu einer defekten Apoptose bei Makrophagen. Eine Krankheit mit ähnlichen klinischen
Symptomen ist das TNF-Rezeptor-assoziierte periodische Syndrom (TRAP-Syndrom ). Ursache
sind Mutationen in einem anderen Gen, das den TNF-α-Rezeptor TNFR1 codiert. Patienten
mit TRAPS exprimieren weniger TNFR1 , sodass im Kreislauf eine größere Menge des proinflammatorischen
TNF-α vorhanden ist, da aufgrund der fehlenden Bindung an den Rezeptor auch keine
Regulation mehr stattfindet. Diese Krankheit lässt sich mit einer therapeutischen
Blockade durch Anti-TNF-Faktoren (beispielsweise Etanercept ) behandeln. Dies ist
ein löslicher TNF-Rezeptor, der zuerst für die Behandlung von Patienten mit rheumatoider
Arthritis (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_16#Sec9) entwickelt wurde. Mutationen
im Gen für das Protein PSTPIP1 (proline-serine-threonine phosphatase-interacting protein 1)
, das mit Pyrin in Wechselwirkung tritt, hängen mit einem anderen dominant vererbbaren
autoinflammatorischen Syndrom zusammen – pyogene Arthritis, Pyoderma gangraenosum
und Akne (PAPA-Syndrom ). Durch die Mutationen verstärkt sich die Bindung zwischen
Pyrin und PSTPIP1, und man vermutet, dass Pyrin durch diese Wechselwirkung ausgedünnt
und in seiner normalen regulatorischen Funktion eingeschränkt wird.
Die episodisch auftretenden autoinflammatorischen Erkrankungen Muckle-Wells-Syndrom
und FCAS (familial cold autoinflammatory syndrome) hängen zweifellos mit einer unangebrachten
Stimulation von Entzündungsreaktionen zusammen, da die Krankheiten auf Mutationen
im NLRP3-Protein zurückzuführen sind. Dies ist eine Komponente des Inflammasoms, das
normalerweise Schädigungen und Stresssituationen einer Zelle registriert, die von
einer Infektion herrühren (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Sec10). Die Mutationen
führen dazu, das NLRP3 ohne solche Reize aktiviert wird und es zu einer unkontrollierten
Produktion von proinflammatorischen Cytokinen kommt. Patienten mit diesen dominant
vererbbaren Syndromen zeigen episodisch auftretendes Fieber, das im Fall des FACS-Syndroms
durch Aufenthalt in der Kälte ausgelöst wird. Außerdem kommt es zu juckenden Hautausschlägen,
Gelenkschmerzen und einer Bindehautentzündung. Mutationen im NLRP3-Gen stehen auch
im Zusammenhang mit einer anderen autoinflammatorischen Erkrankung, dem CINCA-Syndrom
(chronic infantile neurologic cutaneous and articular syndrome). Dabei treten häufig
kurze, sich wiederholende Fieberschübe auf, wobei schwere Gelenksymptome sowie neurologische
und dermatologische Symptome vorherrschend sind. Sowohl Pyrin als auch NLRP3 werden
vor allem von Leukocyten und von Zellen exprimiert, die als angeborene Barrieren für
Pathogene fungieren, beispielsweise die Epithelzellen des Darms. Die Signale, die
Pyrin und verwandte Moleküle beeinflussen, sind unter anderem inflammatorische Cytokine
und mit Stress verbundene Veränderungen in den Zellen. Das Muckle-Wells-Syndrom spricht
stark auf den Wirkstoff Anakinra an, ein Antagonist des IL-1-Rezeptors.
Durch die Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen oder eine Gentherapie lassen
sich Gendefekte beheben
Fehler in der Lymphocytenentwicklung, die zum SCID-Phänotyp und zu anderen Immunschwächen
führen, lassen sich häufig dadurch korrigieren, dass man die fehlerhafte Komponente
ersetzt; das geschieht im Allgemeinen durch eine Transplantation von hämatopoetischen
Stammzellen (HSCs) (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_15#Sec40). Die größten Schwierigkeiten
bei einer solchen Therapie ergeben sich aus Polymorphismen des humanen Leukocytenantigens
(human leukocyte antigen, HLA). Ein geeignetes Transplantat muss einige der HLA-Allele
mit dem Empfänger gemeinsam haben. Wie in Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_8#Sec25
erläutert, bestimmen die vom Thymusepithel exprimierten HLA-Allele, welche T-Zellen
selektiert werden. Transplantiert man HSC-Zellen in immundefiziente Patienten mit
normalem Thymusstroma, so stammen später sowohl die T-Zellen als auch die antigenpräsentierenden
Zellen aus dem Transplantat. Die T-Zellen, die im Thymusgewebe des Empfängers selektiert
werden, können also nur von antigenpräsentierenden Zellen aus dem Transplantat aktiviert
werden, wenn zumindest einige HLA-Allele des Transplantats mit denen des Empfängers
übereinstimmen (Abb. 13.15). Es besteht auch die Gefahr, dass reife T-Zellen, die
sich zwischen den übertragenen HSC-Zellen aus dem Knochenmark oder aus peripherem
Blut befanden und bereits im Thymus des Spenders selektiert wurden, den Empfänger
als fremd erkennen und angreifen. Dies bezeichnet man auch als Graft-versus-Host
-
Krankheit (graft-versus-host disease, GvHD; Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit; Abb. 13.16,
oben). Sie lässt sich vermeiden, indem man die reifen T-Zellen im Transplantat vor
der Übertragung tötet. Bei Immunschwächekrankheiten, mit Ausnahme des SCID, bei denen
noch restliche T-Zellen und NK-Zellen im Empfänger vorhanden sind, führt man vor der
Transplantation eine myeloablative Behandlung durch, bei der das Knochenmark im Allgemeinen
mithilfe von cytotoxischen Wirkstoffen zerstört wird. Das dient zum einen dazu, für
die übertragenen HSC-Zellen Raum zu schaffen, und zum anderen die Gefahr einer Host-versus-Graft
-
Krankheit (host-versus-graft disease, HvGD; Wirt-gegen-Transplantat-Krankheit; Abb. 13.16,
drittes Bild) zu minimieren. Die Intensität des myeloablativen Verfahrens hängt von
der Art der Immunschwäche ab. Bei Krankheiten, bei denen ein Fortbestehen der Empfängerzellen
toleriert werden kann, genügt schon die Übertragung einer Fraktion der Spenderzellen
für die Heilung und eine nichtmyeloablative Chemotherapie vor der HSC-Transplantation
ist möglicherweise ausreichend. Bei anderen Erkrankungen, beispielsweise beim XLP-Syndrom,
bei denen die Blutzellen des Empfängers vollkommen beseitigt werden müssen und eine
vollständige Übertragung der Spenderzellen benötigt wird, ist wahrscheinlich eine
intensivere (myeloablative) Chemotherapie angebracht.
Da inzwischen viele spezifische Gendefekte identifiziert wurden, besteht auch alternativ
die Möglichkeit einer somatischen Gentherapie . Dabei isoliert man HSC-Zellen aus
dem Knochenmark oder dem peripheren Blut des Patienten, führt in diese mithilfe eines
viralen Vektors eine normale Kopie des defekten Gens ein und überträgt die veränderten
Stammzellen wieder auf den Patienten. Für die ersten Versuche der Gentherapie hat
man retrovirale Vektoren verwendet, hörte damit aber auf, als es bei einigen Patienten
zu schweren Komplikationen kam. Es war zwar gelungen, bei den Patienten durch eine
solche Behandlung den genetischen Defekt zu beheben, etwa beim X-gekoppeltem SCID
, bei chronischer Granulomatose oder beim Wiskott-Aldrich-Syndrom, aber einige Patienten
entwickelten dann eine Leukämie, da sich das Retrovirus in ein Protoonkogen integriert
hatte. Da sich die Stelle im Genom nicht kontrollieren ließ, an der die im Retrovirus
codierten Gene eingefügt wurden, und man virale Vektoren mit starken Promotoren verwendete,
die benachbarte Gene transaktivieren können, erwies sich das Verfahren als problematisch.
In jüngerer Zeit hat man sich selbst inaktivierende retrovirale oder lentivirale Vektoren
für solche Genkorrekturen eingesetzt, wodurch sich diese Komplikation vermeiden lässt.
Ein anderes Verfahren ist die Erzeugung von induzierten pluripotenten Stammzellen
(iPS-Zellen ) aus den somatischen Zellen des Patienten. Durch die erzwungene Expression
bestimmter Transkriptionsfaktoren lassen sich die somatischen Zellen zu pluripotenten
Vorläuferzellen umprogrammieren, aus denen HSC-Zellen hervorgehen können. Es besteht
die Hoffnung, dass sich mithilfe dieses Ansatzes spezifische defekte Gene in Stammzellen,
die aus dem Patienten isoliert wurden, gezielt ex vivo reparieren lassen, um dann
die Zellen wieder auf den Patienten zu übertragen. Das Verfahren ist allerdings noch
nicht etabliert. Solange es keine besseren Verfahren für die Einführung korrigierter
Gene in sich selbst erneuernde Stammzellen gibt, bleibt die allogene HSC-Übertragung
die vorwiegende Behandlungsmethode für viele primäre Immunschwächen.
Nichtvererbbare, sekundäre Immunschwächen sind die bedeutendsten Prädispositionen
für Infektionen mit Todesfolge
Durch die primären Immunschwächen konnten wir viel über die Biologie der spezifischen
Proteine des Immunsystems erfahren. Glücklicherweise sind diese Erkrankungen selten.
Die sekundäre Immunschwäche ist hingegen relativ weit verbreitet. Der Mangelernährung
fallen weltweit viele Menschen zum Opfer und ein Hauptmerkmal von Mangelernährung
ist die sekundäre Immunschwäche. Das betrifft vor allem die zellvermittelte Immunität,
und bei Hungersnöten sind viele Todesfälle auf Infektionen zurückzuführen. Die Krankheit
Masern , die selbst eine Immunsuppression herbeiführt, ist eine bedeutende Todesursache
bei unterernährten Kindern. In den Industrienationen sind Masern eine unangenehme
Krankheit, aber nur selten kommt es zu größeren Komplikationen. Bei Unterernährung
führen Masern jedoch zu einer hohen Sterblichkeitsrate. Auch Tuberkulose ist eine
ernstzunehmende Krankheit bei unterernährten Menschen. Bei Mäusen führt ein Proteinmangel
zu einer Immunschwäche, die die Funktion der antigenpräsentierenden Zellen beeinträchtigt.
Beim Menschen ist jedoch nicht geklärt, wie Unterernährung speziell die Immunantworten
beeinflusst. Verbindungen zwischen dem endokrinen System und dem Immunsystem sollten
teilweise eine Rolle spielen. Adipocyten (Fettzellen) produzieren das Hormon Leptin
und der Leptinspiegel hängt direkt mit der im Körper vorhandenen Fettmenge zusammen.
Bei Hunger nimmt der Leptinspiegel ab, wenn das Fett verbraucht wird. Sowohl Mäuse
als auch Menschen mit einem genetisch bedingten Leptinmangel zeigen geringere T-Zell-Reaktionen,
bei Mäusen kommt es zu einer Thymusatrophie. Sowohl bei hungernden Mäusen als auch
bei Mäusen mit einem vererbten Leptinmangel lassen sich die Anomalien durch eine Leptingabe
aufheben.
Sekundäre Immunschwächen gehen auch mit hämatopoetischen Tumoren einher, etwa mit
Leukämien und Lymphomen. Myeloproliferative Erkrankungen, beispielsweise Leukämie
, können mit einem Mangel an neutrophilen Zellen (Neutropenie) oder einem Überschuss
an unreifen myeloischen Vorläuferzellen, denen die funktionellen Eigenschaften der
reifen Neutrophilen fehlen, verbunden sein. In beiden Fällen erhöht sich jeweils die
Anfälligkeit gegenüber Infektionen durch Bakterien und Pilze. Die Zerstörung der peripheren
lymphatischen Gewebe oder das Eindringen von Lymphomen oder Metastasen anderer Krebsarten
in diese Gewebe kann opportunistische Infektionen befördern.
Eine angeborene Asplenie (ein selten auftretendes, vererbbares Fehlen der Milz), das
chirurgische Entfernen der Milz oder die Zerstörung der Milzfunktion durch bestimmte
Erkrankungen führt zu einer lebenslangen Prädisposition für überbordende Infektionen
mit S. pneumoniae. Dies veranschaulicht die Bedeutung der mononucleären phagocytotischen
Zellen in der Milz für die Beseitigung dieser Mikroorganismen im Blut. Patienten,
die die Milzfunktion verloren haben, sollten gegen Infektionen mit Pneumokokken geimpft
werden. Häufig wird ihnen auch empfohlen, zur Vorbeugung lebenslang Antibiotika einzunehmen.
Sekundäre Immunschwäche n bilden auch eine Komplikation bei bestimmten medizinischen
Therapieformen. Eine wesentliche Komplikation bei cytotoxischen Wirkstoffen, die bei
einer Krebstherapie verabreicht werden, ist die Immunsuppression und die erhöhte Anfälligkeit
für Infektionen. Viele dieser Wirkstoffe töten sich teilende Zellen, einschließlich
der normalen Zellen des Knochenmarks und des Lymphsystems. Infektionen sind deshalb
eine bedeutsame Nebenwirkung von Therapien mit cytotoxischen Wirkstoffen. Auch die
Immunsuppression, mit der man die Toleranz des Empfängers gegenüber einem transplantierten
soliden Organ herbeiführen will, etwa bei Nieren- oder Herztransplantationen, bringt
ein grundlegendes Risiko für Infektionen und auch für maligne Erkrankungen mit sich.
Die seit neuerer Zeit praktizierte biologische Therapie für einige Formen der Autoimmunität
führt aufgrund ihrer immunsuppressiven Wirkung ebenfalls zu einem erhöhten Infektionsrisiko.
Wenn man beispielsweise einem Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis oder anderen
Formen von Autoimmunität Antikörper verabreicht, die TNF-α blockieren, kann es zwar
nicht sehr häufig, aber dennoch vermehrt, zu infektiösen Komplikationen kommen.
Zusammenfassung
Gendefekte können nahezu alle Moleküle betreffen, die an der Immunreaktion beteiligt
sind. Sie verursachen charakteristische Immunschwächekrankheiten, die zwar sehr selten
sind, aus denen wir aber viel über die normale Entwicklung und Funktion des Immunsystems
beim gesunden Menschen lernen können. Die erblichen Immunschwächekrankheiten verdeutlichen
die elementare Rolle, die die adaptive Immunantwort und besonders die T-Zellen spielen,
ohne die sowohl die zelluläre als auch die humorale Immunantwort versagen. Die Krankheiten
haben uns gezeigt, welche Rolle die B-Lymphocyten bei der humoralen und die T-Lymphocyten
bei der zellulären Immunantwort spielen, welche Bedeutung die Phagocyten und das Komplementsystem
für die humorale und die angeborene Immunantwort besitzen und welche speziellen Funktionen
Zelloberflächen- oder Signalmoleküle bei der adaptiven Immunantwort erfüllen, wobei
von diesen Molekülen immer mehr bekannt werden. Es gibt viele erbliche Immunschwächekrankheiten,
deren Ursache wir noch nicht kennen. Die Erforschung dieser Krankheiten wird unser
Wissen über die normale Immunantwort und ihre Regulation zweifellos weiter vertiefen.
Erworbene Schädigungen des Immunsystems, die sekundären Immunschwächen, sind viel
häufiger als die primären erblichen Immunschwächen. In den nächsten Abschnitten wollen
wir uns kurz mit den allgemeinen Mechanismen beschäftigen, durch die Pathogene der
Immunabwehr erfolgreich entkommen oder diese unterwandern. Anschließend werden wir
im Einzelnen besprechen, wie ein einziges Pathogen, das humane Immunschwächevirus
(HIV), das Immunsystem auf extreme Weise untergräbt und eine bedeutsame Pandemie hervorgerufen
hat, die sich bei den Betroffenen in Form des Syndroms der erworbenen Immunschwäche
(AIDS) manifestiert.
Wie die Immunabwehr umgangen und unterwandert wird
Im vorherigen Abschnitt haben wir uns damit beschäftigt, wie Mikroorganismen, die
von einem gesunden Immunsystem abgewehrt würden, aufgrund von spezifischen Defekten
in den Reaktionswegen der Immunität Infektionen hervorrufen. Diese opportunistischen
Infektionen bestimmen häufig das klinische Bild von vererbbaren Immunantworten, da
die auslösenden Organismen ubiquitär und in großer Zahl in der Umwelt vorkommen. Eine
Minderzahl von Mikroorganismen sind echte Pathogene , die auch Individuen mit einer
normalen Immunantwort infizieren können. Eine grundlegende Eigenschaft von Pathogenen
besteht darin, dass sie der eigenen Vernichtung durch Komponenten des angeborenen
und des adaptiven Immunsystems entgehen können, zumindest lange genug, um sich im
infizierten Wirt zu vermehren und auf weitere Wirte übertragen zu werden. An einem
Ende des Spektrums stehen Pathogene, die eine akute Infektion verursachen, sich schnell
vermehren und einen neuen Wirt finden, bevor sie von einer erfolgreichen Immunantwort
beseitigt werden. Am anderen Ende dieses Spektrums stehen Pathogene, die chronische
Infektionen hervorrufen, lange Zeit im Körper überdauern, während sie der Vernichtung
durch die Immunabwehr entgehen. Erfolgreiche Pathogene nutzen verschiedene Strategien,
diese Enden zu erreichen, und in Millionen von Jahren der gemeinsamen Evolution hat
sich eine bemerkenswerte Vielzahl von Strategien entwickelt, durch die Mikroorganismen
der Entdeckung und Zerstörung durch das Immunsystem ausweichen können. Häufig handelt
es sich um mehrere Mechanismen, durch die sich die Immunität an verschiedenen Stellen
unterlaufen lässt. Die Antiimmunstrategien , derer sich Krankheitserreger bedienen,
sind genauso komplex wie das Immunsystem selbst. Jedes Pathogen muss solche Mechanismen
besitzen, um gegen die vielfältigen Strategien der Immunabwehr, die die Vertebraten
im Lauf der Evolution entwickelt haben, erfolgreich bestehen zu können.
Viren, Bakterien und parasitische (einzellige) Protozoen oder (vielzellige) Metazoen
können als Krankheitserreger wirken. Pilze und Helminthen (Metazoen) sind die hauptsächlichen
Ursachen von weit verbreiteten Infektionen der Haut beziehungsweise der Besiedlung
des Darms mit Würmern. Sie führen bei gesunden Personen normalerweise nicht zu lebensbedrohlichen
Infektionen und werden deshalb hier nicht besprochen. Andererseits gibt es eine Reihe
bestimmter Viren, Bakterien und parasitischer Protozoen, die hauptsächlich zu Krankheit
und Tod führen. Die drei größten Bedrohungen des Menschen bei Infektionskrankheiten
sind AIDS (verursacht durch das humane Immunschwächevirus, HIV ), Tuberkulose (Mycobacterium
tuberculosis ) und Malaria (Plasmodium falciparum ). Jeder dieser Krankheitserreger
infiziert jedes Jahr weltweit über 100 Mio. Menschen, wobei eine bis zwei Millionen
dadurch sterben. Die Strategien der einzelnen Pathogene, in einem Wirt zu überleben
beziehungsweise sich von einem Wirt zum nächsten auszubreiten, sind zwar unterschiedlich,
aber viele der angeborenen und adaptiven Immunmechanismen, mit denen diese Pathogene
bekämpft werden, stimmen überein. Hier wollen wir uns kurz mit den Lebensweisen der
verschiedenen Pathogene und der gegen sie gerichteten grundlegenden Immunantworten
und den Strategien der Pathogene befassen, mit denen sie das Immunsystem unterlaufen.
Extrazelluläre pathogene Bakterien haben unterschiedliche Strategien entwickelt, um
der Entdeckung durch Mustererkennungsrezeptoren und der Zerstörung durch Antikörper,
das Komplementsystem und antimikrobielle Peptide zu entkommen
Extrazelluläre pathogene Bakterien vermehren sich außerhalb der Wirtszellen, entweder
auf den Oberflächen von Gewebebarrieren, die sie besiedeln (beispielsweise im Gastrointestinaltrakt
oder in den Atemwegen), oder innerhalb von Geweben oder im Blut, nachdem eine Invasion
die Gewebebarrieren überwunden hat. Es gibt sowohl unter den gramnegativen als auch
den grampositiven Bakterien pathogene Spezies, die vor allem Immunreaktionen vom Typ 3
hervorrufen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_11#Sec12). Dabei kommt es zu Reaktionen
der neutrophilen Zellen, opsonisierende und komplementbindende Antikörper werden gebildet
und Zellen der Gewebebarrieren und der Immunzellen produzieren antimikrobielle Peptide,
die diese Mikroorganismen auf den Barrieren beseitigen und eine Invasion verhindern.
Einige der MAMP-Strukturen , die gramnegative und -positive Bakterien exprimieren,
unterscheiden sich zwar, besitzen aber ähnliche Eigenschaften bei der Aktivierung
von Immunzellen. Gramnegative Pathogene enthalten in ihrer äußeren Zellmembran LPS,
einen starken Aktivator für TLR-4 , während die Zellwand von grampositiven Pathogenen
Peptidoglykane enthalten, die TLR-2 sowie NOD1 und NOD2 aktivieren. Eine Strategie
dieser Pathogene, dem Immunsystem auszuweichen, besteht darin, die Oberflächen-MAMPs
abzuschirmen, sodass sie von den Mustererkennungsrezeptoren der Immunzellen nicht
erkannt werden können (Abb. 13.17). Verschiedene gramnegative Pathogene verändern
den Lipid-A-Kern ihres LPS mit Kohlenhydraten und anderen chemischen Gruppen, die
die Bindung durch TLR-4 stören. Einige Bakterien produzieren sogar Varianten von Lipid A,
die nicht mehr als Agonisten, sondern als Antagonisten von TLR-4 wirken. Bestimmte
grampositive Pathogene haben Mechanismen entwickelt, die Erkennung der Peptidoglykane
durch die NOD-Rezeptoren zu verändern, oder sie produzieren Hydrolasen, die Peptidoglykane
abbauen.
Eine gewisse Zahl grampositiver Pathogene kann die äußere Zellmembran durch eine dicke
Kapsel aus Kohlenhydraten schützen. Die Kapsel verhindert nicht nur die Erkennung
der Peptidoglykane und die Aktivierung des alternativen Komplementwegs, sondern blockiert
auch die Ablagerung von Antikörpern und Komplementproteinen auf der bakteriellen Oberfläche
und damit eine direkte Schädigung durch den membranangreifenden Komplex in der Komplementkaskade.
Die Kapsel behindert auch die Beseitigung der Pathogene durch Phagocyten (Abb. 13.17).
Bei Streptococcus pneumoniae , einem wichtigen Erreger der bakteriellen Lungenentzündung
, unterliegt die Kapsel auch einer Antigenvariabilität , durch die sich die exprimierten
Antigenepitope, die von Antikörpern erkannt werden, verändern. Von S. pneumoniae kennt
man inzwischen über 90 Varianten, deren Polysaccharidkapseln unterschiedliche Strukturen
besitzen. Die verschiedenen Varianten lassen sich durch die Verwendung spezifischer
Antikörper unterscheiden, die man als Reagenzien in serologischen Tests verwendet.
Man bezeichnet diese Varianten häufig auch als Serotypen . Die Infektion mit einem
bestimmten Serotyp kann zu einer serotypspezifischen Immunität führen, die vor einer
erneuten Infektion mit diesem Typ schützt, nicht aber vor einem anderen Serotyp. Für
das adaptive Immunsystem ist jeder Serotyp von S. pneumoniae ein eigener Organismus.
Das führt dazu, dass das gleiche Pathogen die gleiche Krankheit mehrere Male in einem
Individuum auslösen kann (Abb. 13.18). In ähnlicher Weise kann es auch aufgrund von
DNA-Umlagerungen in den Bakterien zu einer Antigenvariabilität kommen. Das ist einer
der Gründe für den Erfolg der enteropathogenen E. coli-Bakterien oder der Neisseria-Spezies,
die Gonorrhö und Meningitis verursachen. An der bakteriellen Oberfläche werden auch
Fimbrien (Pili) exprimiert, die den Bakterien dazu dienen, sich an die Oberfläche
der Wirtszellen zu heften. Sie sind zudem wichtige Zielstrukturen für die antikörpervermittelte
Blockade, die das Anheften der Bakterien und eine Besiedlung des Gewebes verhindert.
Der Genlocus, der den jeweils exprimierten Pilus von Neisseria codiert (pilE), kann
mit partiellen Pilingenen, die in „stillen“ (pilS-)Loci liegen, rekombinieren, sodass
an der bakteriellen Oberfläche ein sich ständig verändernder Pilus exprimiert wird.
Dadurch kann das Bakterium der antikörpervermittelten Immunantwort entkommen.
Zu den Antiimmunstrategien der extrazellulären Pathogene gehören Mechanismen, die
die C3-Konvertase der Komplementkaskade inaktivieren, außerdem die Expression von
Fc-bindenden Proteinen, die die funktionelle Antikörperbindung an das Bakterium (beispielsweise
Protein A) und die Bestückung der bakteriellen Oberfläche mit Komplementinhibitoren
des Wirtes (beispielsweise Faktor H) verhindern. Diese Bakterien haben auch Mechanismen
zur Abwehr von antimikrobiellen Peptiden (AMPs; etwa Defensine und Cathelicidine )
entwickelt. Diese kleinen kationischen und amphipathischen Peptide besitzen eine wirksame
antimikrobielle Aktivität, indem sie sich in negativ geladene Zellmembranen einfügen
und dort Poren erzeugen, die das Bakterium lysieren. Pathogene können allerdings ihre
Membranzusammensetzung verändern, um die AMP-Bindung möglichst gering zu halten. Auch
können sie Proteasen erzeugen, die die Peptide abbauen.
Eine ungewöhnliche Eigenschaft von gramnegativen Pathogenen, die sowohl die extrazellulären
als auch die intrazellulären Bakterien betrifft, besteht darin, dass sie eigene immunmodulierende
Proteine über spezielle Strukturen – Sekretionssysteme der Typen III und IV (T3SS
bzw. T4SS ) – direkt in Wirtszellen injizieren können (Abb. 13.19). Diese nadelförmigen
Strukturen (Injektisomen) lagern sich auf der bakteriellen Oberfläche zusammen und
bilden einen Kanal, durch den bakterielle Proteine direkt in das Cytosol der Zielzellen
übertragen werden. Durch diesen Mechanismus wird eine Reihe von bakteriellen Virulenzfaktoren
übertragen, die dazu beitragen, die Immunantwort des Wirtes zu untergraben, beispielsweise
bakterielle Faktoren, die entscheidende Kaskaden der Entzündungsreaktion blockieren,
etwa NFκB und die MAP-Kinasen. Besonders hervorzuheben sind dabei die äußeren Proteine
von Yersinia pestis (Yersinia outer proteins, Yops ), dem Erreger der Beulenpest.
Die Freisetzung von mehreren dieser Faktoren (etwa YopH, YopE, YopO und YopT) in die
Phagocyten zerstört das Actincytoskelett, das für die Phagocytose essenziell ist.
Die Bedeutung des T3SS- und des T4SS-Systems bei der Untergrabung der Immunantwort
durch eine Reihe gramnegativer Pathogene zeigt sich daran, dass bei mutierten Bakterien,
denen Komponenten dieser Strukturen fehlen, auch die Pathogenität verloren geht.
Intrazelluläre pathogene Bakterien können dem Immunsystem entkommen, indem sie innerhalb
der Phagocyten Schutz suchen
Einige pathogene Bakterien haben spezielle Mechanismen entwickelt, durch die sie den
wichtigsten Effektoren, die gegen extrazelluläre Bakterien gerichtet sind – Komplementproteine
und Antikörper – ausweichen können, indem sie im Inneren von Makrophagen überleben
und diese Phagocyten als ihre primäre Wirtszelle, aber auch als Mittel zur weiteren
Ausbreitung im Wirt nutzen. Dieser Strategie eines Trojanischen Pferdes liegen drei
allgemeine Mechanismen zugrunde: Blockade der Fusion von Phagosomen mit Lysosomen,
Ausbruch aus dem Phagosom in das Cytosol, Resistenz gegen die Tötungsmechanismen im
Phagolysosom. So wird beispielsweise Mycobacterium tuberculosis von Makrophagen aufgenommen,
verhindert aber die Fusion des Phagosoms mit dem Lysosom und schützt sich so vor der
bakteriziden Wirkung der lysosomalen Inhaltsstoffe. Andere Mikroorganismen, etwa das
Bakterium Listeria monocytogenes , können dem Phagosom entkommen und gelangen in das
Cytoplasma des Makrophagen , wo sie sich vermehren. Sie breiten sich dann im Gewebe
auf benachbarte Zellen aus, ohne dass sie in der extrazellulären Umgebung in Erscheinung
treten. Sie nutzen dafür das Protein Actin des Cytoskeletts, das sich an der Rückseite
der Bakterien zu Filamenten zusammenlagert. Die Actinfilamente schieben die Bakterien
in vakuoläre Fortsätze, die in benachbarte Zellen hineinreichen. Die Vakuolen werden
dann von Listeria lysiert, sodass die Bakterien in das Cytoplasma der angrenzenden
Zelle gelangen. Darüber hinaus kann Listeria auch die Bildung von bakterienhaltigen
Blasen an der Oberfläche infizierter Zellen auslösen. Diese Blasen exprimieren in
der äußeren Membranschicht Phosphatidylserin. Dieses Membranphospholipid kommt normalerweise
nur in der inneren Membranschicht vor und wird normalerweise, wenn es in der äußeren
Schicht erscheint, von Phagocyten als Signal für die Aufnahme von apoptotischen Zellresten
erkannt. Auf diese Weise gelangt Listeria direkt in phagocytotische Zellen und entkommt
so dem Angriff durch Antikörper.
Nach der Aufnahme in eine Zelle verwenden Salmonella -Spezies ein Typ-III-Sekretionssystem
(Abb. 13.19), um Effektoren wie SifA in das Cytosol und die Membranen der Wirtszelle
zu sezernieren, sodass sich die Zusammensetzung der Vakuole, die die Salmonellen enthält,
verändert, und sie so der Zerstörung entgehen. Bemerkenswert ist dabei, dass Salmonella
Faktoren freisetzen kann, die das apoptotische Ende von Makrophagen des Wirtes hinauszögern
können und so die Lebensdauer der Phagocyten verlängern, bis die bakterielle Fracht
auf neue Wirtszellen übertragen werden kann. Andere Aktivitäten intrazellulärer Bakterien
sind gegen die reaktiven Sauerstoffspezies oder antimikrobiellen Peptide gerichtet,
die der Phagocyt, der die Bakterien aufgenommen hat, in das Phagolysosom freisetzt.
Als eine Art Kompromiss für ihre Lebensweise gehen intrazelluläre Bakterien das Risiko
ein, dass sie Immuneffektoren aktivieren, die speziell diese Pathogene zum Ziel haben:
NK-Zellen und T-Zellen. Wie in Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_11#Sec7 besprochen,
besteht eine Hauptfunktion der Immunantworten vom Typ 1 in der Aktivierung der NK-
und der TH1-Zellen, die durch Freisetzung von IFN-γ oder Expression von CD40L Phagocyten
aktivieren, ihre intrazellulären Tötungsmechanismen zu verstärken. Darüber hinaus
haben die intrazellulären Pathogene wie Listeria Mechanismen entwickelt, um aus dem
Phagosom zu entkommen. Sie erzeugen cytosolische Peptide, die von MHC-Klasse-I-Molekülen
präsentiert werden, und induzieren so cytotoxische T-Zell-Reaktionen, die die Zielzellen
zerstören. Bei Lepra , einer Krankheit, die durch eine Infektion der Haut und der
peripheren Nerven mit Mycobacterium leprae hervorgerufen wird, ist für eine wirksame
Immunabwehr die Aktivierung von Makrophagen durch NK- und TH1-Zellen erforderlich
(Abb. 13.20).
M. leprae kann wie M. tuberculosis in Vesikeln von Makrophagen überleben und sich
vermehren und wird normalerweise von Typ-1-Reaktionen eingedämmt, aber nicht beseitigt.
Bei Patienten, die eine normale Immunantwort vom Typ 1 entwickeln, finden sich nur
wenige lebende Bakterien, werden nur wenige Antikörper produziert, und die Krankheit
schreitet langsam voran. Dabei werden durch die Entzündungsreaktionen, die mit der
Aktivierung der Makrophagen zusammenhängen, die Haut und die peripheren Nerven geschädigt.
Die Patienten bleiben jedoch im Allgemeinen am Leben. Aufgrund der Ähnlichkeiten mit
der Tuberkulose bezeichnet man diese Variante als tuberkuloide Lepra . Ganz anders
ist die Situation bei der lepromatösen Lepra , bei der die Typ-1-Immunantworten gegen
M. leprae defekt sind und sich stattdessen eine ineffiziente Typ-2-Reaktion entwickelt.
Dadurch kommt es zu einer überbordenden Vermehrung der Bakterien in den Makrophagen
und zu schweren Gewebeschäden, die letztendlich zum Tod führen, wenn keine Behandlung
erfolgt. Trotz der hohen Titer an antibakteriellen Antikörpern, die Patienten mit
lepromatöser Lepra aufweisen, sind die Antikörper wahrscheinlich aufgrund der hohen
Bakterienlast nicht in der Lage, die Infektion unter Kontrolle zu bringen, da sie
die intrazellulären Bakterien nicht erreichen können.
Auch parasitische Protozoen können dem Immunsystem entkommen
Die meisten parasitischen Protozoen , beispielsweise Plasmodium- und Trypanosoma-Spezies,
haben komplexe Lebenszyklen, die sich teilweise im Menschen und teilweise in einem
Zwischenwirt abspielen, beispielsweise in einem arthropodischen Vektor (etwa Stechmücken,
Fliegen oder Zecken). Die Übertragung dieser Organismen über einen Zwischenwirt ist
ungewöhnlich, da die normalen Barrieren gegen eine Infektion umgangen werden, wenn
der Erreger über einen Insektenstich oder die Blutaufnahme durch ein Insekt direkt
in das Blut eingebracht wird. Auf diese Weise werden viele der normalen angeborenen
Mechanismen der Immunabwehr während einer Infektion vollständig umgangen. Darüber
hinaus haben die erfolgreichsten dieser Organismen komplexe und variable Strategien
entwickelt, um der Immunabwehr zu entgehen. Häufig entwickeln sich dadurch chronische
„Versteckspiel“-Infektionen, die durch periodisch auftretende Krankheitsschübe gekennzeichnet
sind, obwohl dabei antikörpervermittelte und zelluläre Immunantworten ausgelöst werden.
Trypanosoma brucei, der Erreger der Trypanose oder Schlafkrankheit , hat wie einige
oben beschriebene pathogene Bakterien (Abschn. 13.2.1) eine erstaunliche Variabilität
der Antigene entwickelt, um der Antikörperreaktion zu entgehen, die in infizierten
Menschen ausgelöst wird. Die Trypanosomen sind von einem einzigen Typ von Glykoproteinen,
dem variantenspezifischen Glykoprotein (VSG), umhüllt. Dieses löst eine starke schützende
Antikörperreaktion aus, durch die die meisten Parasiten schnell beseitigt werden.
Das Genom der Trypanosomen enthält jedoch etwa 1000 VSG-Gene, die jeweils ein Protein
mit etwas anderen Antigeneigenschaften codieren. Ein VSG-Gen wird exprimiert, indem
es in einer aktiven Expressionsstelle im Genom der Trypansosomen platziert wird. Es
wird immer nur ein VSG-Gen auf einmal exprimiert und es kann durch eine Genumlagerung
ausgetauscht werden, die ein neues VSG-Gen zur Expressionsstelle befördert (Abb. 13.21).
Unter dem Selektionsdruck der wirksamen Antikörperreaktion des Wirtes können die wenigen
Trypanosomen der Population, die ein anderes VSG exprimieren, der Vernichtung entgehen
und sich vermehren, sodass die Krankheit erneut ausbricht (Abb. 13.21, unten). Dann
werden Antikörper gegen das neue VSG produziert und der ganze Zyklus wiederholt sich.
So kommt es zu einem Zyklus aus aktiver und ruhender Krankheit. Die chronischen Zyklen
der Antigenbeseitigung führen zu Schäden durch die Immunkomplexe und zu einer Entzündung,
schließlich sogar zu neurologischen Störungen. Am Ende fallen die Betroffenen ins
Koma, daher die Bezeichnung Schlafkrankheit. Durch diese Zyklen des Ausweichens der
Krankheitserreger fällt es dem Immunsystem schwer, eine Infektion mit Trypanosomen
zu bekämpfen, die deshalb in Afrika ein schwerwiegendes Gesundheitsproblem darstellen.
Die von Plasmodium -Spezies verursachte Malaria ist eine weitere schwere und weit
verbreitete Krankheit. Die Plasmodien verändern wie Trypanosoma brucei ständig ihre
Antigene und entgehen so ebenfalls der Vernichtung durch das Immunsystem. Darüber
hinaus durchlaufen die Plasmodien einzelne Phasen ihres Lebenszyklus beim Menschen
in verschiedenen Typen von Wirtszellen. Die Infektion erfolgt zuerst in der Sporozoitenform
des Organismus, die durch den Stich einer infizierten Mücke übertragen wird und die
Hepatocyten der Leber zum Ziel hat. Hier vermehrt sich der Organismus sehr schnell
und produziert Merozoiten , die aus den infizierten Hepatocyten hervorbrechen und
nun zirkulierende rote Blutzellen infizieren. Während das Immunsystem damit befasst
ist, den Parasiten in der Leber zu beseitigen, macht dieser eine Metamorphose durch
und entkommt dabei in den zweiten Wirtszelltyp, die roten Blutkörperchen. Da die Erythrocyten
die einzigen Körperzellen sind, die keine MHC-Klasse-I-Moleküle besitzen, werden die
Antigene, die die Merozoiten in den infizierten roten Blutkörperchen produzieren,
nicht von CD8-T-Zellen erkannt, sodass eine cytotoxische Zerstörung der infizierten
Zellen unterbleibt. Dies ist ein besonders hoch entwickelter Anpassungsmechanismus,
um der zellulären Immunität auszuweichen.
Auch die parasitischen Protozoen von Leishmania major unterwandern das Immunsystem
. Sie werden durch den Stich der Sandmücke (Phlebotomus papatasii ) übertragen und
sind obligat intrazelluläre Parasiten, die sich innerhalb der Gewebemakrophagen vermehren.
Wie bei den übrigen intrazellulären Pathogenen, die sich in phagocytotischen Vesikeln
aufhalten, hängt die Beseitigung einer Infektion mit L. major von einer Typ-1-Immunantwort
ab. Mithilfe noch nicht vollständig bekannter Mechanismen blockiert L. major spezifisch
die Produktion von IL-12 durch die Wirtsmakrophagen, verhindert so die Produktion
von IFN-γ durch die NK-Zellen und hemmt auch die Differenzierung und Funktion der
TH1-Zellen. Darüber hinaus hat man festgestellt, dass L. major die IL-10-produzierenden
Treg-Zellen aktiviert, die eine Beseitigung der Infektion unterdrücken.
RNA-Viren verfügen über verschiedene Mechanismen der Antigenvariabilität, durch die
sie dem adaptiven Immunsystem immer einen Schritt voraus sind
Viren sind sowohl die einfachsten als auch die vielfältigsten Krankheitserreger. Sie
können sich nur in lebenden Zellen vermehren und sind von dem zellulären Apparat der
Wirtszelle für die eigene Vermehrung und Verbreitung abhängig. Als obligat intrazelluläre
Pathogene aktivieren sie intrazelluläre Mustererkennungsrezeptoren (PRRs), die das
genetische Material der Viren erkennen und cytolytische Immunreaktionen der angeborenen
und der adaptiven Immunzellen – der NK-Zellen beziehungsweise der CD8-T-Zellen – hervorrufen.
Sie lösen auch Typ-I-Interferon-Reaktionen aus, die intrinsische zelluläre Mechanismen
aktivieren und dadurch die Replikation der Viren in den infizierten und nichtinfizierten
Zellen begrenzen. Zwar produzieren viele Zellen Typ-I-Interferone, aber die plasmacytoiden
dendritischen Zellen sind als angeborene Sensorzellen darauf spezialisiert, bereits
in einer frühen Phase der Virusinfektion Typ-I-Interferone in großen Mengen zu erzeugen.
Sie spielen zusammen mit den NK-Zellen eine zentrale Rolle bei der frühen Immunabwehr
von Viren, noch bevor die adaptive Immunantwort herangereift ist. Letztere umfasst
alle Bereiche der adaptiven Immunität. Das ist zum einen die Induktion der TH1-Zellen,
die die Produktion von opsonisierenden und komplementbindenden virusspezifischen Antikörpern
unterstützen, die dann verhindern, dass die Viren in nichtinfizierte Zellen eindringen.
Zum anderen wird das Komplementsystem aktiviert, das behüllte Viren zerstören kann,
und es werden cytolytische CD8-T-Zellen aktiviert, die virusinfizierten Zellen zu
töten und IFN-γ zu produzieren.
Die Strategien der Viren, die Immunabwehr zu bekämpfen, sind genauso vielfältig wie
die Pathogene selbst. Einige allgemeine Strategien hängen jedoch mit der Art des Virusgenoms
zusammen. RNA-Viren müssen ihre Genome mithilfe einer RNA-Polymerase replizieren,
die jedoch nicht die Korrekturlesefunktion der DNA-Polymerase enthält. Eine Folge
besteht darin, dass RNA-Viren eine höhere Mutationsrate aufweisen als DNA-Viren, was
dazu führt, dass RNA-Viren keine großen Genome umfassen können. Dadurch ist es ihnen
jedoch andererseits möglich, ihre Antigenepitope, gegen die eine adaptive Immunantwort
gerichtet ist, schnell zu verändern. So verfügen sie über einen Mechanismus, dem Immunsystem
zu entkommen. Darüber hinaus enthalten RNA-Viren segmentierte Genome, sodass sie sich
bei der Virusreplikation selbst neu zusammensetzen können. Das Influenzavirus nutzt
alle beiden Mechanismen. Es handelt sich um ein weit verbreitetes Pathogen, das saisonal
auftritt und akute Infektionen hervorruft. Es hat auch schon mehrere große Pandemien
verursacht. Zu einem beliebigen Zeitpunkt ist immer nur ein einziger Virustyp für
alle Influenzafälle weltweit verantwortlich. Die menschliche Population entwickelt
allmählich einen Immunschutz gegen diesen Virustyp, vor allem durch die Produktion
neutralisierender Antikörper, die gegen das virale Hämagglutinin , das Hauptprotein
auf der Oberfläche des Influenzavirus, gerichtet sind. Da das Virus von den immun
gewordenen Individuen schnell beseitigt wird, bestünde die Gefahr, dass keine potenziellen
Wirte mehr verfügbar sind, aber das Virus nutzt beide Mutationsmechanismen und kann
dadurch seinen Antigentyp verändern (Abb. 13.22).
Der erste dieser Mechanismen ist die Antigendrift , die durch Punktmutationen in den
Genen hervorgerufen wird, die Glykoproteine – Hämagglutinin und Neuraminidase – an
der Oberfläche des Virus codieren. Alle zwei bis drei Jahre bildet sich so eine neue
Variante des Grippevirus heraus, die den in der menschlichen Population vorhandenen,
neutralisierenden Antikörpern durch die Mutationen entkommt. Andere Mutationen können
Epitope in Virusproteinen betreffen, die von T-Zellen erkannt werden, insbesondere
von den cytotoxischen CD8-T-Zellen. Das hat zur Folge, dass Zellen, die von dem mutierten
Virus infiziert werden, der Zerstörung entgehen. Menschen, die gegen das ursprüngliche
Influenzavirus immun sind, erweisen sich nun als anfällig für das neue Virus. Da aber
die Veränderungen nicht so gravierend sind, kommt es immer noch zu einigen Kreuzreaktionen
mit Antikörpern und T-Gedächtniszellen, die gegen die frühere Variante gebildet wurden,
und der größte Teil der Bevölkerung verfügt weiterhin über einen gewissen Immunschutz.
Deshalb verlaufen Epidemien, die auf die Antigendrift zurückzuführen sind, relativ
mild.
Video 13.1
Antigenveränderungen des Influenzavirus , die durch eine Neuzusammensetzung des segmentierten
RNA-Genoms entstehen, bezeichnet man als Antigenshift . Dieser führt zu gravierenden
Veränderungen des Hämagglutinins , das von dem Virus exprimiert wird. Antigenshifts
rufen globale Pandemien mit schweren Krankheitsformen hervor, häufig auch mit einer
hohen Sterberate, da das neue Hämagglutinin von den Antikörpern und T-Zellen, die
gegen die frühere Variante gerichtet sind, nur schlecht oder gar nicht mehr erkannt
wird. Der Antigenshift ist darauf zurückzuführen, dass sich das segmentierte RNA-Genom
des humanen Influenzavirus mit Influenzaviren von Tieren in einem Wirtstier neu zusammengesetzt
hat. Dabei wird das Hämagglutinin-Gen des humanen Virus durch das entsprechende Gen
aus dem Tiervirus ersetzt (Abb. 13.22).
Video 13.2
Das Hepatitis-C-Virus (HCV) ist ein RNA-Virus, das sowohl akute als auch chronische
Infektionen in der Leber hervorrufen kann. Das Virus ist in den USA die häufigste
Ursache für durch Blut übertragbare chronische Infektionen und die vorherrschende
Ursache für Leberzirrhose. Das HCV besitzt wie das Influenzavirus ein großes Potenzial
für Mutationen in den immunologisch relevanten Epitopen, sodass es der Vernichtung
entgehen kann. Anders als beim Influenzavirus bildet jedoch das Glykoprotein E2, das
für die Bindung des HCV an CD81 auf der Oberfläche der Hepatocyten zuständig ist,
für die Produktion effektiver neutralisierender Antikörper ein schwieriges Ziel, da
es im Bereich der Bindung an CD81 stark glykosyliert ist und insgesamt eine hohe Mutationsrate
aufweist. Antikörperreaktionen gegen HCV besitzen deshalb nur eine eingeschränkte
Wirksamkeit. Entsprechend entstehen durch hohe Mutationsraten in den von T-Zellen
erkannten Epitopen HCV-Varianten, die den cytolytischen T-Zell-Reaktionen entkommen
können. Außerdem gibt es noch Hinweise darauf, dass das HCV auch Faktoren exprimiert,
die die Funktion der dendritischen Zellen untergraben und dadurch die Induktion der
T-Zell-Immunität behindern.
DNA-Viren verfügen über mehrere Mechanismen, durch die sie Reaktionen der NK- und
CTL-Zellen unterlaufen können
Von allen Pathogenen haben die DNA-Viren , die chronische Infektionen hervorrufen
können, die größte Vielfalt an Mechanismen entwickelt, mit denen sie die Immunabwehr
unterwandern oder ihr entkommen. DNA-Viren zeigen, anders als RNA-Viren, nur relativ
niedrige Mutationsraten und sind so nur in geringerem Maß in der Lage, der Immunabwehr
durch genetische Variabilität auszuweichen. Da die geringere Mutationsrate den Viren
ermöglicht, viel größere Genome aufrechtzuerhalten, konnten sie eine beträchtliche
Zahl von Genen derartig anpassen, dass sie damit fast jede Komponente der antiviralen
Immunabwehr unterlaufen können. Das Pockenvirus, das Adenovirus und insbesondere das
Herpesvirus sind alle große DNA-Viren und mit ihnen wollen wir uns hier beschäftigen.
Bei diesen Viren umfassen über 50 % des Genoms solche Gene, die dazu dienen, der Immunabwehr
zu entgehen. Darüber hinaus haben einige dieser Viren, insbesondere das Herpesvirus,
Mechanismen entwickelt, durch die sie in einen Zustand der Latenz eintreten können,
bei dem das Virus nicht aktiv repliziert wird. Im Latenzstadium verursacht das Virus
keine Krankheit. Da aber keine Viruspeptide für die Beladung von MHC-Klasse-I-Molekülen
erzeugt werden, sodass den cytolytischen T-Zellen das Vorhandensein des Virus nicht
signalisiert werden kann, wird es auch nicht beseitigt und kann lebenslang fortdauernde
Infektionen verursachen. Latente Infektionen können reaktiviert werden (Abschn. 13.2.6),
was zu wiederkehrenden Erkrankungen führt. Neun von zehn Personen sind mit mindestens
einem der fünf häufigsten unter den acht Typen der Herpesviren infiziert, die für
Menschen relevant sind: Herpes-simplex-Virus (HSV-)1 und 2 (beide können Lippen- und
Genitalherpes hervorrufen), Epstein-Barr-Virus (EBV, das die infektiöse Mononucleose
hervorruft), Varicella zoster (verursacht Windpocken und Gürtelrose) sowie das Cytomegalievirus
(CMV). Dabei entwickelt sich normalerweise eine lebenslang andauernde Latenzphase.
Hier wollen wir die wichtigsten Mechanismen vorstellen, durch die diese Viren so erfolgreich
sind (Abb. 13.23).
Von zentraler Bedeutung für das langfristige Überleben dieser Viren ist die Tatsache,
dass sie den CTL- und NK-Zellen entkommen können. Die Präsentation viraler Peptide
durch MHC-Klasse-I-Moleküle an der Zelloberfläche signalisiert den CD8-T-Zellen, dass
sie die infizierte Zelle abtöten. Viele große DNA-Viren entgehen der Immunerkennung,
indem sie Proteine produzieren, die man als Immunevasine bezeichnet. Diese verhindern,
dass Viruspeptid:MHC-Klasse-I-Komplexe an der Oberfläche von infizierten Zellen präsentiert
werden (Abb. 13.24). Tatsächlich kennt man inzwischen für jeden wichtigen Schritt
bei der Prozessierung und Präsentation von Peptid:MHC-Klasse-I-Komplexen mindestens
einen viralen Inhibitor. Einige Immunevasine verhindern, dass Peptide in das endoplasmatische
Reticulum gelangen, indem sie an den TAP-Transporter binden (Abb. 13.25, links). Virusproteine
können auch verhindern, dass Peptid:MHC-Komplexe die Zelloberfläche erreichen, indem
sie MHC-Klasse-I-Moleküle im endoplasmatischen Reticulum festhalten (Abb. 13.25, Mitte).
Mehrere Virusproteine katalysieren den Abbau von neu synthetisierten MHC-Klasse-I-Molekülen
durch eine sogenannte Dislokation . Dabei wird der Reaktionsweg ausgelöst, der normalerweise
dazu dient, falsch gefaltete Proteine im endoplasmatischen Reticulum abzubauen, indem
sie zurück in das Cytosol gebracht werden (Abb. 13.25, rechts). Da die Bildung von
stabil zusammengesetzten und gefalteten Peptid:MHC-Klasse-I-Komplexen verhindert wird,
leiten diese Virusproteine die Peptid:MHC-Klasse-I-Komplexe zum ERAD-System (ERAD
für endoplasmic reticulum-associated degradation) um, wo sie beseitigt werden. Durch
diese vielfältigen Mechanismen behindern die viralen Faktoren die Präsentation von
Virusproteinen gegenüber den CTL-Zellen. Die Aktivitäten von viralen Inhibitoren sind
nicht auf den MHC-Klasse-I-Weg begrenzt, man kennt jetzt auch virale Inhibitoren des
MHC-Klasse-II-Prozessierungswegs. Das Ziel dieser Inhibitoren sind letztendlich die
CD4-T-Zellen. Da viele Viren andere Zellen als die dendritischen Zellen angreifen,
werden ihre Antigene über eine Kreuzpräsentation dennoch den CD8-T-Zellen dargeboten.
Virale Mechanismen, die diesen Reaktionsweg stören, wurden bis jetzt nur unvollständig
untersucht. Da die Viren aber nicht in dendritischen Zellen persistieren müssen, können
sie die Erkennung und Zerstörung ihrer Wirtszellen blockieren, selbst nachdem bereits
primär geprägte T-Effektorzellen gebildet wurden.
NK-Zellen spielen nicht nur bei der akuten angeborenen Immunantwort auf eine Virusinfektion
eine Rolle, sondern sie können auch Zellen erkennen, die von Pathogenen angeregt wurden,
die Expression der MHC-Klasse-I-Moleküle herunterzufahren, sodass die CTL-Zellen die
Infektion nicht erkennen können. Entsprechend haben Viren, die den MHC-Klasse-I-Weg
angreifen, auch Mechanismen entwickelt, die die cytolytische Aktivität der NK-Zellen
unterdrücken. Zu den Strategien gehört hier auch, dass Viren zu MHC-Klasse-I-Molekülen
homologe Gegenstücke exprimieren, die an inhibitorische killerzellenimmunglobulinähnliche
Rezeptoren (KIRs) und leukocyteninhibitorische Rezeptoren (LIRs) binden, wobei dies
nicht der einzige Mechanismus dieser Art ist. So erzeugt beispielsweise das humane
CMV das zu HLA-Klasse-I-Molekülen homologe Protein UL18 , das an LIR-1 auf NK-Zellen
bindet und diesen ein inhibitorisches Signal sendet, das die Cytolyse der Zielzelle
blockiert. Außerdem hat man virale Produkte gefunden, die als Antagonisten für aktivierende
Rezeptoren auf NK-Zellen wirken und auch die Effektorwege der NK-Zellen blockieren.
Video 13.3
DNA-Viren haben noch andere Mechanismen entwickelt, um die Funktionen des Immunsystems
zu unterlaufen. Zu diesen Mechanismen gehört die Expression von viralen homologen
Cytokinen oder Chemokinen und ihren Rezeptoren. Oder es werden virale Proteine exprimiert,
die Cytokine oder ihre Rezeptoren binden und so deren Aktivität blockieren. Da Typ-I-
und Typ-II-Interferone bei der antiviralen Immunabwehr als Effektorcytokine eine wichtige
Rolle spielen, sind viele virale Mechanismen auf eine Blockade dieser Cytokinfamilie
ausgerichtet. Das kann geschehen durch die Produktion von Pseudorezeptoren oder inhibitorischen
Bindungsproteinen, die Hemmung der JAK/STAT-Signale der IFN-Rezeptoren, die Hemmung
der Transkription der Cytokin-Gene oder die Beeinflussung der Transkriptionsfaktoren,
die von den Interferonen aktiviert werden. Einige DNA-Viren produzieren auch Antagonisten
der proinflammatorischen Cytokine IL-1, IL-18 und TNF-α sowie weiterer Moleküle, und
es werden virale homologe Moleküle der immunsuppressiven Cytokine erzeugt. CMV stört
antivirale Reaktionen durch die Produktion von cmvIL-10, ein zu IL-10 homologes Cytokin.
Es bewirkt, dass die Produktion von mehreren proinflammatorischen Cytokinen heruntergefahren
wird, beispielsweise von IFN-γ, IL-12, IL-1 und TNF-α, sodass eher die toleranzfördernden
und nicht die immunogenen Reaktionen der adaptiven Immunität unterstützt werden.
Verschiedene Viren beeinflussen auch die Chemokinreaktionen, indem sie entweder Pseudochemokinrezeptoren
oder zu Chemokinen homologe Moleküle produzieren, die die natürlichen ligandeninduzierten
Signale der Chemokinrezeptoren stören. Herpes- und Pockenviren produzieren insgesamt
über 40 virale Moleküle, die zu Rezeptoren homolog sind, die zur vGPCR-Superfamilie
der G-Protein-gekoppelten Chemokinrezeptoren mit siebenmal die Membran durchspannender
Domäne gehören. Außerdem hat man festgestellt, dass CMV chronische Infektionen hervorruft,
indem es die antiviralen CD8-T-Zellen „erschöpft“. CD8-T-Zellen, die in einer solchen
Situation aktiviert werden, exprimieren einen inhibitorischen Rezeptor der CD28-Superfamilie,
den PD-1-Rezeptor (PD-1 für programmed death-1; Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec29).
Die Aktivierung dieses Rezeptors durch seinen Liganden PD-L1 führt zur Suppression
der Effektorfunktion der CD8-T-Zellen. Die Blockade der Wechselwirkung zwischen PD-L1
und PD-1 stellt die antivirale CD8-Effektorfunktion wieder her und verringert die
Viruslast. Das deutet darauf hin, dass die fortdauernde Aktivierung dieses Reaktionswegs
mit der gestörten Beseitigung der Viren in Zusammenhang steht. Ein ähnlicher Mechanismus
findet sich anscheinend auch bei RNA-Viren, die chronische Infektionen auslösen können,
etwa beim Hepatitis-C-Virus (HCV). An dieser Stelle ist festzustellen, dass das Spektrum
der von Viren entwickelten Mechanismen, durch die sie die Immunabwehr unterlaufen
können, durchaus beachtlich ist, und dass die Erforschung dieser Mechanismen unsere
Vorstellungen von den Beziehungen zwischen Wirt und Krankheitserreger weiterhin stark
beeinflussen wird.
Einige latente Viren persistieren in den lebenden Zellen, indem sie aufhören sich
zu replizieren, bis die Immunität abklingt
Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, bilden die Herpesviren für den Menschen
eine bedeutsame Gruppe von Viren, die latente Infektionen hervorrufen. Dabei handelt
es sich um große, behüllte DNA-Viren , die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie lebenslang
andauernde Infektionen etablieren können. Wir haben uns schon mit einer Reihe von
Mechanismen beschäftigt, durch die diese Viren die Immunität unterlaufen, aber sie
haben auch Mechanismen entwickelt, ihr Genom im Zellkern von infizierten Zellen zeitlich
unbegrenzt zu erhalten, ohne sich zu vermehren. Das Herpesvirus kann in diese lysogene
Phase eintreten, die sich von der aktiven lytischen oder produktiven Phase des viralen
Lebenszyklus unterscheidet, in der sich das Virus in der Wirtszelle vermehrt und diese
schließlich lysiert. In der lysogenen Phase wird hingegen nur eine kleine Region des
gesamten viralen Genoms exprimiert, das latenzassoziierte Transkript (LAT). LAT unterdrückt
nicht nur die Expression des übrigen viralen Genoms, sondern produziert Faktoren,
die in die Apoptose einer Wirtszelle eingreifen. Dadurch werden die normalen Immunmechanismen
gestört, die Lebensdauer der Zelle verlängert sich und damit auch die des darin enthaltenen
viralen Genoms. Ein Beispiel ist das Herpes-simplex-Virus (HSV), dass Fieberbläschen
hervorruft. Es infiziert Epithelzellen und breitet sich dann über sensorische Nervenzellen
aus, die die infizierte Region versorgen. Eine wirksame Immunantwort bekommt die Infektion
des Epithels unter Kontrolle, aber das Virus überdauert im latenten Stadium in den
sensorischen Nervenzellen. Faktoren wie Sonnenlicht, eine Bakterieninfektion oder
hormonelle Veränderungen können das Virus reaktivieren , sodass es nun die Axone der
sensorischen Nerven wieder abwärts wandert und das Epithelgewebe erneut infiziert
(Abb. 13.26). Zu diesem Zeitpunkt wird das Immunsystem wieder aktiviert und bringt
schließlich die lokale Infektion unter Kontrolle, indem die Epithelzellen getötet
werden, wodurch weitere Läsionen im Gesicht entstehen. Dieser Zyklus kann sich mehrere
Male wiederholen.
Aus zwei Gründen bleibt das sensorische Neuron dabei immer infiziert: Erstens liegt
das Virus in der Nervenzelle im latenten Stadium vor. Die Zelle produziert also nur
wenige virale Proteine, sodass auch nur wenige Peptide viralen Ursprungs auf MHC-Klasse-I-Molekülen
präsentiert werden können. Zweitens tragen Neuronen nur sehr wenige MHC-Klasse-I-Moleküle
auf ihrer Oberfläche, sodass CD8-T-Zellen infizierte Nervenzellen nur schwer erkennen
und angreifen können. Die niedrige Expressionsrate der MHC-Proteine in Neuronen ist
von Vorteil: Sie verringert das Risiko, dass Neuronen, die sich nur begrenzt regenerieren
können, unnötigerweise von cytotoxischen T-Zellen zerstört werden. So werden Neuronen
allerdings anfällig dafür, als zelluläre Reservoirs für persistierende Infektionen
zu dienen. Herpesviren treten häufig in das Latenzstadium ein. Das Varicella-zoster-Virus
, das Windpocken verursacht, überdauert nach dem Ende der akuten Erkrankung in einem
oder einigen wenigen Spinalganglien. Stress oder eine Immunsuppression können das
Virus reaktivieren. Es breitet sich dann im Spinalnerv aus und reinfiziert die Haut,
wo es eine Gürtelrose auslöst. Dabei tritt in der Hautregion, die von diesem Spinalnerv
innerviert wird, wieder der typische Varicellaausschlag auf. Im Gegensatz zum Herpes-simplex-Virus,
das oft reaktiviert wird, kann das Varicella-zoster-Virus nur ein einziges Mal im
Leben eines immunkompetenten Wirtes reaktiviert werden.
Ein weiterer Vertreter der Herpesviren , das Epstein-Barr-Virus (EBV), entwickelt
bei den meisten Menschen eine persistierende Infektion. EBV geht nach einer Primärinfektion,
die häufig nicht diagnostiziert wird, in den B-Zellen in die Latenzphase über. Bei
einer Minderheit der infizierten Personen ist die erste akute Infektion der B-Zellen
gravierender und führt zu einer Erkrankung, die man als infektiöse Mononucleose oder
Pfeiffer’sches Drüsenfieber bezeichnet. EBV infiziert die B-Zellen, indem es an das
CR2-Protein (CD21), eine Komponente des Corezeptorkomplexes der B-Zellen, und an MHC-Klasse-II-Moleküle
bindet. Bei der Primärinfektion vermehren sich die meisten befallenen Zellen und bilden
Viren. Das wiederum führt zu einer Proliferation der antigenspezifischen T-Zellen
und einem Überschuss an mononucleären weißen Blutzellen, nach denen die Krankheit
benannt ist. Das Virus wird von den B-Zellen freigesetzt und zerstört sie dabei; das
Virus lässt sich dann aus dem Speichel isolieren. Letztlich bringen virusspezifische
cytotoxische CD8-T-Zellen die Infektion unter Kontrolle, indem sie die infizierten
proliferierenden B-Zellen abtöten. Einige der B-Lymphocyten sind jedoch latent infiziert;
in ihnen bleibt das EBV inaktiv.
Diese beiden Formen der Infektion gehen einher mit recht unterschiedlichen Expressionsmustern
der Virusgene. EBV besitzt ein großes DNA-Genom, das über 70 Proteine codiert. Viele
davon sind für die Replikation des Virus erforderlich und werden vom replizierenden
Virus exprimiert. Sie liefern die viralen Peptide, durch die infizierte Zellen erkannt
werden können. Bei einer latenten Infektion hingegen überlebt das Virus im Inneren
der B-Zellen, die als Wirte dienen, ohne dass es sich repliziert, und es wird nur
eine sehr begrenzte Anzahl von viralen Proteinen exprimiert. Eines davon ist das Epstein-Barr-Zellkernantigen
1 (Epstein-Barr nuclear antigen 1 , EBNA1); es dient der Erhaltung des Virusgenoms.
EBNA1 interagiert so mit dem Proteasom (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_6#Sec3),
dass es selbst nicht in Peptide gespalten wird, die eine Antwort der T-Zellen auslösen
könnten.
Latent infizierte B-Zellen lassen sich isolieren, wenn man B-Zellen von Personen kultiviert,
die ihre EBV-Infektion scheinbar überwunden haben. In Abwesenheit von T-Zellen entwickeln
sich latent infizierte Zellen, die das EBV-Genom noch enthalten, zu permanenten Zelllinien.
In vitro entspricht dies einer Tumorgenese. In vivo können EBV-infizierte Zellen gelegentlich
einer malignen Transformation unterliegen, die dann zu einem B-Zell-Lymphom, dem Burkitt-Lymphom
, führt. Bei diesem Lymphom ist die Expression der Peptidtransporter TAP1 und TAP2
erniedrigt (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_6#Sec4), sodass die Zellen keine endogenen
Antigene verarbeiten können, um sie durch HLA-Klasse-I-Moleküle (die humanen MHC-Klasse-I-Moleküle)
zu präsentieren. Durch diesen Defekt lässt sich erklären, warum diese Tumoren dem
Angriff durch cytotoxische CD8-T-Zellen entgehen. Patienten mit erworbener oder ererbter
Immunschwäche in der T-Zell-Funktion tragen das Risiko, EBV-assoziierte B-Zell-Lymphome
zu entwickeln, wahrscheinlich aufgrund eines Versagens der Immunüberwachung.
Das Hepatitis-B-Virus (HBV, ein DNA-Virus) und das Hepatitis-C-Virus (HCV, ein RNA-Virus)
infizieren die Leber und verursachen eine akute und eine chronische Hepatitis, Leberzirrhose
und in einigen Fällen ein Leberzellkarzinom. Wahrscheinlich sind die Immunantworten
für die Beseitigung beider Infektionen von großer Bedeutung, aber in vielen Fällen
setzen HBV und HCV eine chronische Infektion in Gang. HCV infiziert zwar während der
primären Infektionsphase vor allem die Leber, aber das Virus unterläuft die adaptive
Immunantwort, indem es die Aktivierung und Reifung der dendritischen Zellen stört.
Das führt zu einer unangebrachten Aktivierung der CD4-T-Zellen, wodurch die Differenzierung
der TH1-Zellen unterbleibt. Man nimmt an, dass die Infektion auf diese Weise chronisch
wird, wahrscheinlich aufgrund der fehlenden Unterstützung durch die CD4-T-Zellen für
die Aktivierung der cytotoxischen CD8-T-Zellen. Es gibt Hinweise darauf, dass die
Abnahme der Menge an viralen Antigenen nach einer antiviralen Therapie die Unterstützung
der CD4-T-Zellen für die Funktion der cytotoxischen CD8-T-Zellen und der CD8-T-Gedächtniszellen
wiederherstellt. Die verzögerte Reifung der dendritischen Zellen, die durch HCV hervorgerufen
wird, führt wahrscheinlich zusammen mit einer anderen Eigenschaft des Virus zu einem
synergistischen Effekt, durch den es der Immunantwort entgehen kann: Die RNA-Polymerase,
die das Virus verwendet, um sein Genom zu replizieren, besitzt keine Korrekturlesefunktion.
Das trägt zu einer hohen Mutationsrate des Virus und zu einer Veränderung seiner Antigeneigenschaften
bei, durch die es wiederum der adaptiven Immunität entkommt.
Zusammenfassung
Krankheitserreger können eine immer wiederkehrende oder persistierende Infektion verursachen,
indem sie die normalen Abwehrmechanismen des Wirtes umgehen oder sie unterwandern
und sich dabei selbst vermehren. Es gibt viele verschiedene Strategien, um der Immunantwort
zu entgehen oder sie umzufunktionieren. Antigenvariabilität, Latenz, Resistenz gegenüber
einer Immunreaktion und die Unterdrückung der Immunantwort tragen zu persistierenden
und medizinisch bedeutsamen Infektionen bei. In einigen Fällen ist auch die Immunantwort
selbst ein Teil des Problems. Manche Pathogene nutzen die Immunreaktion dazu, sich
auszubreiten, andere würden ohne die Immunantwort des Wirtes überhaupt keine Krankheit
verursachen. Jeder dieser Mechanismen gibt uns einen Einblick in die Eigenschaften
der Immunantwort und in ihre Schwachpunkte, und jeder macht einen anderen medizinischen
Ansatz für die Vermeidung oder Behandlung einer Infektion erforderlich.
Das erworbene Immunschwächesyndrom (AIDS)
Die extremste Form von Immunsubversion, die durch einen Krankheitserreger verursacht
wird, ist das erworbene Immunschwächesyndrom (acquired immune deficiency syndrome,
AIDS ), das durch das humane Immunschwächevirus (HIV ) hervorgerufen wird. Die Krankheit
führt zu einem fortschreitenden Verlust der CD4-T-Zellen, was schließlich eine hohe
Anfälligkeit für opportunistische Infektionen hervorruft, sobald diese Zellen in ausreichender
Zahl vernichtet wurden. Der früheste bis heute dokumentierte Nachweis einer HIV-Infektion
eines Menschen erfolgte an einer Serumprobe aus Kinshasa (Demokratische Republik Kongo),
die dort 1959 eingelagert wurde. Es dauerte jedoch noch bis 1981, als die ersten Fälle
von AIDS offiziell gemeldet wurden. Da die Krankheit offenbar durch den Kontakt mit
Körperflüssigkeiten übertragen wird, nahm man an, dass ein neues Virus die Ursache
ist. 1983 wurde der Erreger HIV isoliert und identifiziert.
Es gibt mindestens zwei Typen von HIV, die eng miteinander verwandt sind: HIV-1 und
HIV-2 . Beide Typen werden durch sexuelle Kontakte und Blut übertragen (etwa bei einer
Bluttransfusion oder durch gemeinsam benutzte Injektionsnadeln). Durch die stärkere
Vermehrung von HIV-1 kommt es im Blut zu einer höheren Viruslast, sodass das Virus
leichter übertragen wird. Bei HIV-1 ist auch die Übertragungsrate von der Mutter auf
ihr Kind sehr hoch, was auf HIV-2 nicht zutrifft. Die beiden Krankheitsformen sind
zwar bei Patienten nicht zu unterscheiden, die AIDS entwickeln, aber mit HIV-1 schreitet
AIDS schneller voran und zeigt eine höhere Inzidenz als HIV-2. HIV-1 ist deshalb weltweit
die häufigste Ursache für AIDS. HIV-1 und HIV-2 sind beide in Westafrika endemisch,
wobei HIV-2 sonst nur selten auftritt.
Beide Viren haben sich anscheinend ursprünglich in Afrika von anderen Primatenspezies
auf den Menschen ausgebreitet. Die Sequenzierung der Virusgenome von Isolaten deutet
darauf hin, dass der HIV-1-Vorfahre der Primaten, SIV (simian immunodeficiency virus)
, in mindestens vier unabhängigen Ereignissen von Schimpansen oder westlichen Tieflandgorillas
auf Menschen übertragen wurde, während HIV-2 von der Mangabe Cercocebus atys herrührt
(Abb. 13.27). Am sichersten ist wohl die Annahme, dass die am meisten vorherrschende
der vier Hauptvarianten von HIV-1 , Gruppe M (main; verantwortlich für ~99 % der HIV-1-Infektionen
weltweit) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Schimpansen auf Menschen übertragen
wurde; die Übertragung der Gruppe O (outlier) reicht bis in das frühe 20. Jahrhundert
zurück, während die anderen beiden HIV-1-Varianten (die Gruppen N [Nicht-M, Nicht-O]
und P [Nicht-M, Nicht-N, Nicht-O]) anscheinend erst vor kürzerer Zeit übertragen wurden.
Wie bei anderen zoonotischen Infektionen, bei denen für die gemeinsame Evolution von
Pathogen und Wirt die Zeit noch nicht ausgereicht hat, um zu einem Gleichgewicht zu
gelangen, durch die sich die Virulenz abschwächt, ist SIV für nichtmenschliche Primaten
weniger pathogen als HIV für den Menschen. AIDS entwickelt sich zwar bei allen HIV-1-infizierten
Menschen in etwa gleich, wenn sie keine Behandlung erhalten, aber bei den SIV-infizierten
nichtmenschlichen Primaten zeigt die Entwicklung eine deutlich größere Variationsbreite,
sodass sogar einige Primaten überhaupt nicht erkranken.
Eine HIV-Infektion verursacht nicht unmittelbar AIDS . Ohne Behandlung beträgt die
durchschnittliche Zeitspanne von der Infektion bis zur Entwicklung von AIDS bei Erwachsenen
mehrere Jahre. Die lange Verzögerung zwischen der Infektion und der Entwicklung von
Immunschwächesymptomen ist eine Folge des ungewöhnlichen Tropismus des Virus für die
CD4-T-Zellen des Immunsystems und der Art der Immunantwort auf das Virus. HIV ist
heute pandemisch, und trotz der großen Fortschritte bei der Behandlung und der Prävention
aufgrund besserer Kenntnisse über die Pathogenese und die Epidemiologie der Krankheit
starben im Jahr 2012 1,6 Mio. Menschen an mit AIDS zusammenhängenden Ursachen. Weltweit
wurden in dem Jahr schätzungsweise 35,3 Mio. mit HIV infiziert, was in den Folgejahren
zu weiteren zahlreichen AIDS-Toten führen wird (Abb. 13.28). In Afrika in der Subsahararegion,
wo über zwei Drittel aller weltweiten Fälle auftreten, ist einer von 20 Erwachsenen
infiziert. HIV ist in der kurzen Zeit seit dem ersten Bekanntwerden als neues Pathogen
des Menschen tatsächlich zum tödlichsten Einzelerreger von Infektionskrankheiten aufgestiegen.
Dennoch gibt es Anlass zur Hoffnung: Die Häufigkeit von neuen HIV-Infektionen ist
seit dem Maximum im Jahr 1997 ständig zurückgegangen, genauso wie die Anzahl der Todesfälle
pro Jahr seit dem Maximum in der Mitte der 2000er-Jahre. Zu den Regionen mit dem raschesten
Rückgang bei Neuinfektionen gehört auch die Subsahararegion in Afrika. Es gibt allerdings
weiterhin Schwerpunktregionen, in denen die Häufigkeit der Fälle noch zunimmt (beispielsweise
in Osteuropa und Zentralasien).
HIV ist ein Retrovirus, das eine chronische Infektion hervorruft, die langsam zu AIDS
voranschreitet
HIV ist ein behülltes RNA-Virus, dessen Struktur in Abb. 13.29 dargestellt ist. Jedes
Viruspartikel oder Virion ist mit zwei Typen viraler Hüllproteine ausgestattet, die
das Virus nutzt, um Zielzellen zu infizieren. Außerdem enthält es zwei Kopien eines
RNA-Genoms und zahlreiche Kopien von viralen Enzymen, die für die Entwicklung einer
Infektion in der Wirtszelle notwendig sind. HIV ist ein Beispiel für ein Retrovirus
. Die Bezeichnung kommt daher, dass das Virusgenom in der infizierten Zelle von der
Reversen Transkriptase des Virus von RNA in DNA umgeschrieben werden muss – die Umkehrung
(retro) des normalen Vorgangs der Transkription. Dabei entsteht eine DNA-Zwischenstufe,
die in die Chromosomen der Wirtszelle integriert wird, sodass die Replikation des
Virus möglich ist. Die RNA-Transkripte, die von der eingefügten Virus-DNA erzeugt
werden, dienen als mRNA für die Synthese von viralen Proteinen. aber auch später als
RNA-Genome für neue Viruspartikel. Diese werden durch Ausstülpungen der Plasmamembran
von der Zelle freigesetzt und mit einer Membranhülle versehen.
HIV gehört zur Retrovirengruppe der Lentiviren . Die Bezeichnung leitet sich von dem
lateinischen Wort lentus (langsam) ab und bezieht sich auf das allmähliche Voranschreiten
der Krankheiten, die diese Viren verursachen. Die Viren persistieren und vermehren
sich jahrelang kontinuierlich, bis sich die Anzeichen der Krankheit offen zeigen.
Im Fall von HIV steuert das Virus Zellen des Immunsystems selbst an, sodass sich eine
erste akute Infektion entwickelt, die so unter Kontrolle gehalten wird, dass sie nicht
erkennbar ist. Selten kommt es jedoch zu einer Immunantwort, die die fortschreitende
Replikation des Virus verhindert. Die erste akute Infektion wird zwar scheinbar vom
Immunsystem kontrolliert, aber HIV tritt in den Zellen des Immunsystems in das Latenzstadium
ein, setzt die Replikation fort und infiziert viele Jahre lang immer neue Zellen.
Das führt letztendlich zu einer Erschöpfung des Immunsystems und damit zur Immunschwäche
(AIDS). Dadurch können opportunistische Infektionen oder maligne Erkrankungen auftreten,
die schließlich zum Tod führen.
HIV infiziert Zellen des Immunsystems und vermehrt sich darin
Ein Alleinstellungsmerkmal von HIV ist dessen Fähigkeit, aktivierte Zellen des Immunsystems
zu infizieren und sich darin zu vermehren. Das primäre Angriffsziel von HIV sind drei
bestimmte Typen von Immunzellen: CD4-T-Zellen, Makrophagen und dendritische Zellen.
Dabei tragen die CD4-T-Zellen den größten Teil der viralen Replikation. Diese Fähigkeit
von HIV, in bestimmte Zelltypen eindringen zu können, bezeichnet man als Tropismus
. Dieser hängt damit zusammen, dass an den Oberflächen der Zellen spezifische Rezeptoren
für das Virus exprimiert werden. HIV gelangt mithilfe eines Komplexes aus den beiden
nichtkovalent verbundenen Glykoproteinen des Virus, gp120 und gp41 , die in der Virushülle
als Trimere vorliegen, in die Zellen. Die gp120-Untereinheiten der trimeren gp120/gp41-Komplexe
binden mit hoher Affinität an das Zelloberflächenmolekül CD4, das auf den CD4-T-Zellen
exprimiert wird, und in einem geringeren Maß auch an Untergruppen der dendritischen
Zellen und Makrophagen. Vor der Fusion des Virus mit der Zellmembran und seinem Eindringen
in die Zelle muss gp120 auch an einen Corezeptor auf der Wirtszelle binden. Die wichtigsten
Corezeptoren sind dabei die Chemokinrezeptoren CCR5 und CXCR4. CCR5 wird vor allem
auf Untergruppen der CD4-T-Gedächtniseffektorzellen, dendritischen Zellen und Makrophagen
exprimiert, während CXCR4 primär auf naiven und zentralen CD4-T-Gedächtniszellen vorkommt.
Der jeweilige Chemokincorezeptor, der von einem bestimmten Viruspartikel gebunden
wird, ist für die Übertragung von HIV zwischen Individuen und die Ausbreitung des
Virus innerhalb einer infizierten Person von Bedeutung. Nach der Bindung an CD4 verändert
sich die Konformation von gp120, sodass eine hochaffine Stelle zugänglich wird, an
die der Corezeptor bindet. Das führt wiederum dazu, dass sich gp41 entfaltet und einen
Teil seiner Struktur (das Fusionspeptid) in die Plasmamembran der Zielzelle integriert.
Dadurch kommt es zur Fusion der Virushülle mit der Plasmamembran der Zelle. So gelangt
das virale Nucleocapsid, das aus dem Virusgenom und den assoziierten Virusproteinen
besteht, in das Cytoplasma der Wirtszelle (Abb. 13.30).
Video 13.4
Sobald das Virus in eine Zelle eingedrungen ist, repliziert es sich ähnlich wie die
übrigen Retroviren. Die Reverse Transkriptase übersetzt die virale RNA in eine komplementäre
DNA (cDNA). Die virale cDNA, die neun Gene umfasst (Abb. 13.31), wird dann von der
Integrase des Virus in das Genom der Wirtszelle eingebaut. Die Integrase erkennt repetitive
DNA-Sequenzen, lange Wiederholungen (long terminal repeats, LTRs) an den beiden Enden
des Virusgenoms, die die Integrase partiell spaltet. Die LTRs sind für die Integration
der Virus-DNA in die DNA der Wirtszelle erforderlich; sie enthalten Bindungsstellen
für die genregulatorischen Proteine, die die Expression der Virusgene kontrollieren.
Die integrierte cDNA-Kopie bezeichnet man als Provirus .
Das HIV-Genom ist wie die Genome anderer Retroviren recht klein, es enthält die drei
Hauptgene gag, pol und env. Das gag-Gen codiert die Strukturproteine des Viruscapsidkerns,
pol codiert die Enzyme, die bei der Replikation des Virus eine Rolle spielen, und
env codiert die Glykoproteine der Virushülle. Die gag- und pol-mRNAs werden zu Polyproteinen
translatiert. Das sind lange Polypeptidketten, die dann von der viralen Protease (codiert
von pol) in die einzelnen funktionellen Proteine gespalten werden. Allein pol codiert
die drei wichtigsten Enzyme des Virions, die für die Vermehrung des Virus benötigt
werden: Reverse Transkriptase , Integrase und virale Protease. Das Produkt des env-Gens,
gp160 , muss von einer Protease der Wirtszelle in gp120 und gp41 gespalten werden,
die sich dann als Trimere in der Virushülle aneinanderlagern. HIV verfügt noch über
sechs weitere kleinere regulatorische Gene. Diese codieren Proteine, die die Replikation
des Virus und seine Infektiosität auf verschiedene Weise beeinflussen. Zwei dieser
drei Proteine, Tat und Rev , sind für grundlegende regulatorische Funktionen während
der frühen Phase des viralen Replikationszyklus zuständig. Die übrigen vier – Nef
, Vif , Vpr und Vpu – sind für die effiziente Erzeugung der Viren in vivo erforderlich.
HIV kann seinen Replikationszyklus in der Wirtszelle abschließen, indem Virusnachkommen
erzeugt werden, oder es kommt wie bei anderen Retroviren oder den Herpesviren zu einer
latenten Infektion, in der das Provirus ruht. Was letztendlich bewirkt, ob die Infektion
einer Zelle zur Latenz oder zu einer produktiven Infektion führt, ist nicht bekannt,
aber man nimmt an, dass es mit dem Aktivierungszustand der infizierten Zelle zusammenhängt.
Im nächsten Abschnitt wollen wir besprechen, wie nach der Integration die Transkription
des Provirus durch Transkriptionsfaktoren der Wirtszelle, die wiederum durch die Aktivierung
der Immunzelle induziert wurden, in Gang gesetzt wird. Daher begünstigt wahrscheinlich
die Infektion einer Zelle, die kurz nach der Infektion in einen Ruhezustand fällt,
die Ausbildung des Latenzstadiums, während die Infektion von aktivierten Zellen die
produktive Replikation des Virus unterstützt. Das hat bedeutsame Auswirkungen im Zusammenhang
mit den CD4-T-Zellen, die im Gegensatz zu Makrophagen und dendritischen Zellen langlebig
sind und dadurch für das HIV-Provirus ein wichtiges Reservoir bilden. Das Provirus
kann bei Reaktivierung der Zellen ebenfalls aktiviert werden, selbst auch Jahre nach
der ursprünglichen Infektion. Da Makrophagen und dendritische Zellen in den Geweben
nur kurzlebig sind und sich nicht teilen, wäre ein Latenzstadium in diesen Zellen
auch nur von kurzer Dauer. Die lang anhaltende Latenz von HIV ist also vor allem eine
Folge des viralen Tropismus für die CD4-T-Zellen. Das Zusammenwirken dieses Tropismus
für die CD4-T-Zellen und die aktivierungsabhängige Transkription des Provirus sind
ein zentraler Bestandteil der HIV-Pathogenese und der charakteristischen fortschreitenden
Ausdünnung der CD4-T-Zellen, die schließlich AIDS hervorruft.
Aktivierte CD4-T-Zellen sind der wichtigste Ort für die Replikation von HIV
Das HIV-Provirus benötigt die Aktivierung der Wirtszelle, um den Replikationszyklus
fortzusetzen und infektiöse Virionen hervorzubringen, die andere Zellen infizieren
können. Das liegt daran, dass für die Transaktivierung der proviralen Genexpression
Transkriptionsfaktoren der Wirtszelle erforderlich sind. Die Transkription des viralen
Genoms können die beiden Transkriptionsfaktoren NFκB und NFAT der Wirtszelle in Gang
setzen. Damit beide Transkriptionsfaktoren in den Zellkern transloziert werden können,
wo sie an die DNA binden und die Gentranskription auslösen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec17
und 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec19), ist eine Aktivierung der Zelle erforderlich.
NFκB wird in allen Immunzellen exprimiert, die durch HIV infiziert wurden, NFAT hingegen
wird primär in den aktivierten CD4-T-Zellen exprimiert, sodass das Provirus in dieser
Wirtszelle noch durch einen zusätzlichen Faktor transaktiviert wird. Zusammen mit
der Langlebigkeit und dem zahlreichen Auftreten der CD4-T-Zellen in den Immungeweben
trägt dies dazu bei, dass die CD4-T-Zellen für die HIV-Replikation eine wichtige zelluläre
Basis bilden. Hier wollen wir uns mit den Mechanismen beschäftigen, die die Transkription
des HIV-Provirus in den CD4-T-Zellen regulieren.
Wie in Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec17 und 10.1007/978-3-662-56004-4_7#Sec19
besprochen, induziert die Aktivierung von T-Zellen durch Antigene die Aktivierung
von NFAT und NFκB und deren Translokation in den Zellkern. Die Aktivierung von CD4-T-Gedächtniszellen
durch Cytokine kann auch ohne Antigene NFκB aktivieren (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_11#Sec14).
Die Transkription des HIV-Provirus kann durch NFκB und NFAT nicht nur in Abhängigkeit
von Antigenen aktiviert werden, sondern durch NFκB auch unabhängig von der Stimulation
eines T-Zell-Rezeptors in den CD4-T-Gedächtniszellen, wie es bei infizierten Makrophagen
und dendritischen Zellen ebenfalls möglich ist. Die Bindung von NFAT und NFκB an Promotoren
in den proviralen LTRs setzt die Transkription der viralen RNA in Gang. Das Transkript
wird dann auf verschiedene Weisen gespleißt, sodass die mRNAs für die Translation
der viralen Proteine entstehen (Abb. 13.26).
Mindestens zwei der Virusproteine – Tat und Rev – dienen dazu, die Replikation des
Virusgenoms zu verstärken (Abb. 13.30). Tat bindet eine Transkriptionsaktivierungsregion
(TAR) in der 5’LTR. Dadurch werden das zelluläre Cyclin T1 und die zugehörige cyclinabhängige
Kinase 9 (cyclin-dependent kinase 9, CDK9 ) rekrutiert. Diese bilden einen Komplex
und phosphorylieren die RNA-Polymerase, die dadurch besser in der Lage ist, ein vollständiges
Transkript des Virusgenoms herzustellen. Auf diese Weise erzeugt Tat eine positive
Rückkopplungsschleife und verstärkt so die produktive Virusreplikation. Rev ist für
den Transport ungespleißter Virus-RNA-Transkripte aus dem Zellkern zuständig, indem
das Protein an eine spezifische Sequenz, das Rev-Response-Element (RRE), in der Virus-RNA
bindet. Eukaryotische Zellen verfügen über einen Mechanismus, durch den sie den Export
von ungespleißten mRNA-Transkripten aus dem Zellkern verhindern. Das könnte für Retroviren
ein Problem darstellen, die darauf angewiesen sind, ihre ungespleißten mRNA-Spezies,
die den vollständigen Satz der Virusproteine codieren und das gesamte virale RNA-Genom
umfassen, aus dem Zellkern herauszubringen. Das vollständig gespleißte mRNA-Transkript,
das Tat und Rev codiert, tritt bereits in einer frühen Infektionsphase auf, wobei
hier der RNA-Transport durch die normalen zellulären Mechanismen erfolgt. Der später
erfolgende Export der ungespleißten viralen Transkripte erfordert hingegen Rev, um
einen Abbau der mRNA in der Wirtszelle zu verhindern.
Der Erfolg der Virusreplikation beruht auch auf den Proteinen Nef , Vif , Vpu und
Vpr . Diese Virusproteine haben sich in der Evolution anscheinend so entwickelt, dass
sie die Immunitätsmechanismen des Wirtsorganismus bekämpfen, die gegen das Virus gerichtet
sind. Davon sind auch die antiviralen Restriktionsfaktoren betroffen – zelluläre Proteine
des Wirtsorganismus, die die Replikation von Retroviren durch einen zellautonomen
Mechanismus hemmen. Nef (negativer Regulationsfaktor) ist im viralen Lebenszyklus
für eine Reihe von essenziellen Funktionen zuständig. Nef ist bereits in einer frühen
Phase dieses Zyklus aktiv, hält dabei die T-Zell-Aktivierung aufrecht und bewirkt
die Etablierung eines persistierenden Stadiums der HIV-Infektion , teilweise durch
Absenken der Schwelle für Signale des T-Zell-Rezeptors und die Verringerung der Expression
des inhibitorischen Corezeptors CTLA-4 . Insgesamt führen diese Aktivitäten zu einer
stärkeren und nachhaltigeren Aktivierung der T-Zellen, die die Replikation des Virus
fördert. Nef trägt auch dazu bei, dass infizierte Zellen der Immunabwehr entgehen,
indem das Protein die Produktion von MHC-Klasse-I- und -Klasse-II-Molekülen herunterreguliert.
Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine aktiv infizierte Zelle eine antivirale
Immunantwort auslöst oder von einer cytotoxischen T-Zelle getötet wird. Nef bewirkt
auch die Beseitigung der CD4-Oberflächenmoleküle, die sonst beim Abschnüren der Virionen
an diese binden und deren Freisetzung stören würden. Vif (viraler Infektiositätsfaktor)
inaktiviert die Cytidin-Desaminase APOBEC , die sonst in der viralen cDNA die Umwandlung
von Desoxycytidin zu Desoxyuridin katalysieren würde, sodass die cDNA keine viralen
Proteine mehr codieren würde. Vpu (virales Protein U) kommt nur bei HIV-1 und Varianten
des SI-Virus vor; es ist erforderlich, um den zellulären Faktor Tetherin unwirksam
zu machen, der sowohl in die Plasmamembran als auch in die Hülle des gereiften Virions
integriert ist und dessen Freisetzung blockiert. Die Funktion von Vpr (virales Protein R)
ist nicht vollständig bekannt, aber anscheinend ist der Restriktionsfaktor SAMHD1
ein Angriffsziel von Vpr. SAMHD1 ist ein zelluläres Protein, das die HIV-Infektion
in myeloischen Zellen und ruhenden CD4-T-Zellen verhindert, indem es das intrazelluläre
Reservoir der Desoxyribonucleotide (dNTPs) begrenzt, die für die Synthese der viralen
cDNA durch die Reverse Transkriptase zur Verfügung stehen.
Es gibt verschiedene Wege, durch die HIV übertragen wird und eine Infektion etabliert
Eine HIV -Infektion erfolgt durch die Übertragung von Körperflüssigkeiten einer infizierten
auf eine nicht infizierte Person. Am häufigsten werden HIV-Infektionen beim Geschlechtsverkehr
übertragen. Es kommt auch zu Übertragungen, wenn kontaminierte Injektionsnadeln zur
intravenösen Verabreichung von Drogen im Austausch verwendet werden oder durch die
Anwendung von infiziertem Blut oder infizierten Blutprodukten für therapeutische Zwecke,
wobei die Zahlen in letzterem Fall in Ländern, in denen Blutprodukte regelmäßig auf
HIV getestet werden, stark zurück gegangen sind. Ein weiterer wichtiger Übertragungsweg
für das Virus ist der von einer infizierten Mutter auf ihr Kind. Das kann im Uterus,
bei der Geburt oder durch die Muttermilch geschehen. Die Häufigkeit, mit der das Virus
von einer unbehandelten infizierten Mutter auf ihr Kind übertragen wird, schwankt
zwischen 15 und 45 %, abhängig von der Viruslast der Mutter und ob sie ihr Kind stillt,
da dadurch das Übertragungsrisiko steigt. Wenn eine infizierte Frau während ihrer
Schwangerschaft antiretrovirale Wirkstoffe erhält, nimmt ihre Viruslast ab und die
Übertragungsgefahr auf das Kind sinkt erheblich (Abschn. 13.3.11).
Das Virus kann in Form von freien infektiösen Partikeln oder durch infizierte Zellen
übertragen werden, für die das Virus einen Tropismus besitzt (beispielsweise CD4-T-Zellen
und Makrophagen). Infizierte Zellen kommen im Blut vor, können aber auch in der Samenflüssigkeit
oder in Vaginalsekreten sowie in der Muttermilch enthalten sein. Freie Viren kommen
im Blut, in der Samenflüssigkeit, in Vaginalsekreten und in der Muttermilch vor. HIV-Virionen
können unterschiedliche gp120-Varianten exprimieren, die entweder an CCR5 oder CXCR4
binden, sodass unterschiedliche Zelltypen infiziert werden. In den Schleimhäuten des
Genital- und Gastrointestinaltrakts, die die hauptsächlichen Regionen für eine primäre
Infektion durch sexuelle Übertragung sind, infizieren HIV-Vironen zuerst nur eine
geringe Anzahl von mucosalen Immunzellen, die CCR5 exprimieren – CD4-T-Effektorgedächtniszellen,
dendritische Zellen und Makrophagen. Das Virus vermehrt sich lokal in diesen Zellen,
bevor es sich über T-Zellen oder dendritische Zellen zu den Lymphknoten ausbreitet,
die Flüssigkeit aus den Schleimhäuten ableiten (die mucosalen Makrophagen wandern
nicht). Im lymphatischen Kompartiment der mucosalen Gewebe kommen in größerer Zahl
TH1- und TH17-Zellen vor, die CCR5 exprimieren (was naive T-Zellen und TH2-Zellen
nicht tun), sodass die erste Vermehrung des Virus in diesen Untergruppen der CD4-T-Zellen
begünstigt wird. Nach einer beschleunigten Vermehrung in regionalen Lymphknoten verbreitet
sich das Virus in großem Umfang über das Blut und gelangt auch zunehmend in die darmassoziierten
lymphatischen Gewebe (GALT), wo im Körper die meisten CD4-T-Zellen vorkommen.
HIV-Varianten mit einem Tropismus für verschiedene Corezeptoren sind für die Ausbreitung
und das Fortschreiten der Krankheit von unterschiedlicher Bedeutung
Damit HIV in einem neuen Wirt eine Infektion auslösen kann, muss das Virus mit einer
CD4-exprimierenden Immunzelle in Kontakt treten. Die eigentliche Zielzelle wird durch
die Affinität des viralen gp120-Proteins für die beiden unterschiedlichen Chemokincorezeptoren
bestimmt: CCR5 und CXCR4. Entsprechend bezeichnet man die beiden wichtigsten Tropismusvarianten
von HIV mit R5 beziehungsweise X4. CCR5 kommt vor allem auf CD4-exprimierenden CD4-T-Zellen
vor, die sich an den hauptsächlichen Stellen der Virusübertragung aufhalten. Diese
Bereiche sind ständig kommensalen Mikroorganismen ausgesetzt und enthalten deshalb
eine große Zahl von aktivierten Immunzellen (Schleimhautgewebe des männlichen und
weiblichen Genitaltrakts oder des Rektums für sexuelle Übertragung; oberer Gastrointestinaltrakt
für die Mutter-Kind-Übertragung). Deshalb sind in der frühen Infektionsphase vor allem
R5-Stämme des Virus mit CCR5-Tropismus für die Übertragung verantwortlich.
Bevor HIV mit CD4-exprimierenden Immunzellen in Kontakt treten kann, muss das Virus
das Epithel dieser Gewebe durchqueren. Auch hier sind die Virusvarianten mit CCR5-Tropismus
im Vorteil. Die Infektion erfolgt in zwei Arten von Geweben: mehrschichtigen Epithelien
oder Plattenepithelien wie die Schleimhäute der Vagina, der Penisvorhaut, des äußeren
Gebärmuttermundes, im Mundrachenraum und in der Speiseröhre, oder in einschichtigen
Zylinderepithelien wie der Gebärmutterhalsschleimhaut, des Rektums und des oberen
Gastrointestinaltrakts. Die Epithelzellen der Rektums oder des Gebärmutterhalses können
CCR5 exprimieren und translozieren, wie sich zeigen ließ, selektiv HIV-R5-, nicht
jedoch HIV-X4-Varianten durch das einschichtige Epithel. Andere Moleküle, die auf
Epithelzellen exprimiert werden, sind ebenfalls beteiligt. An gp120-bindende Glykosphingolipide,
die von Epithelzellen der Vagina oder des äußeren Gebärmuttermundes exprimiert werden,
ermöglichen ebenfalls die Transcytose des Virus durch das Epithel. Der Virustransit
durch Epithelbarrieren und das Auslösen einer Infektion erfolgt mit hoher Geschwindigkeit.
Das SIV -Virus kann das Epithel der Vagina und des Gebärmutterhalses innerhalb von
30–60 min nach dem ersten Kontakt durchqueren.
HIV kann nicht nur über eine direkte Transcytose Epithelien passieren, sondern dem
Virus dienen auch die Fortsätze von interdigitierenden dendritischen Zellen, die sich
zwischen die Epithelzellen erstrecken, als Eintrittsweg in das Epithel. Anscheinend
handelt es sich um einen komplexen Transportmechanismus, über den HIV, nachdem es
von den dendritischen Zellen aufgenommen wurde, durch das Epithel zu den CD4-T-Zellen
im Lymphgewebe gelangt. HIV kann sich an dendritische Zellen heften, indem das virale
gp120-Protein an C-Typ-Lektin-Rezeptoren bindet, beispielsweise an Langerin (CD207
), an den Mannoserezeptor (CD206 ) und an DC-SIGN . Ein Teil des gebundenen Virus
wird schnell in Vakuolen aufgenommen, wo es tagelang in einem infektiösen Zustand
bleiben kann. Auf diese Weise wird das Virus geschützt und bleibt stabil, bis es auf
eine zugängliche CD4-T-Zelle trifft, etwa in der lokalen mucosalen Umgebung oder nachdem
es in die ableitenden Lymphgewebe gelangt ist (Abb. 13.32). In einigen mucosalen Regionen
kommen CCR5-exprimierende CD4-T-Zellen im Epithel vor (intraepitheliale T-Zellen).
Man hat festgestellt, dass dies Bereiche sind, in denen frühe Phasen der viralen Replikation
stattfinden. HIV kann also CD4-T-Zellen entweder direkt oder über dendritische Zellen
infizieren, die mit CD4-T-Zellen interagieren.
Während der akuten Phase der Infektion , die normalerweise mehrere Wochen andauert
und mit einer grippeähnlichen Erkrankung einhergeht, kommt es zu einer schnellen Vermehrung
des Virus, vor allem in den CCR5-exprimierenden CD4-T-Zellen (Abb. 13.33). Diese Phase
ist durch eine große Anzahl zirkulierender Viren im Blut (Virämie) und die schnelle
Abnahme der CCR5-exprimierenden CD4-T-Zellen gekennzeichnet. Der zuletzt genannte
Effekt ist darauf zurückzuführen, dass zahlreiche CD4-T-Zellen in den GALT absterben.
Ursache dafür ist die cytopathische Wirkung des Virus (Makrophagen und dendritische
Zellen können anscheinend der Lyse durch das sich replizierende Virus besser widerstehen).
Die Ausdünnung der Immunzellen im Darm erhöht wahrscheinlich die schnelle Virusproduktion
in den GALT noch, indem die Aktivierung der Immunzellen aufgrund eines Zusammenbruchs
der Barrierefunktion und der Translokation von Bestandteilen der Mikroflora noch verstärkt
wird. Aufgrund des hohen Virustiters und des Übergewichts der R5-Stämme während der
akuten Infektionsphase ist das Risiko einer Übertragung auf nichtinfizierte Personen
in dieser Phase besonders hoch.
Sobald sich eine adaptive Immunantwort entwickelt hat, kommt es bei fast allen Patienten
zu einer akuten Phase mit hoher Virämie (Abb. 13.33). Die für Virusantigene spezifischen
cytolytischen CD8-T-Zellen entwickeln sich und töten HIV-infizierte Zellen, und bei
infizierten Personen sind nun virusspezifische Antikörper im Serum nachweisbar (Serokonversion
). Die Entwicklung der CTL-Reaktion bringt das Virus schnell unter Kontrolle, sodass
es zu einer raschen Abnahme des Virustiters kommt und die Anzahl der CD4-T-Zellen
wieder zunimmt. Den Virustiter , der in diesem Stadium im Blutplasma dauerhaft vorhanden
ist, bezeichnet man als viralen Setpoint . Dieser ist ein guter Indikator für die
künftige Entwicklung der Krankheit. An dieser Stelle geht die Krankheit in ein klinisch
latentes Stadium über, die asymptomatische Phase beginnt. Sie ist gekennzeichnet von
einer niedrigen Virämie und einer langsamen Abnahme der CD4-T-Zellen und kann mehrere
Jahre andauern. Während dieser Zeit setzt das Virus seine aktive Replikation fort,
wird aber in Schach gehalten, vor allem von HIV-spezifischen CD8-T-Zellen und Antikörpern.
Durch den starken Selektionsdruck, den die antivitrale Immunantwort erzeugt, kommt
es bei HIV zu einer Selektion von Escape-Mutanten , die von den adaptiven Immunzellen
nicht mehr erkannt werden. So entstehen in einer einzigen infizierten Person, und
auch in der Bevölkerung insgesamt, viele verschiedene Virusvarianten. In einer späten
Infektionsphase wechselt bei 50 % der Patienten der dominierende Virustyp von den
R5- zu den X4-Varianten, die dann die T-Zellen über die CXCR4 -Corzeptoren infizieren.
Das führt dazu, dass die Anzahl der CD4-T-Zellen schnell abnimmt und entsprechend
voranschreitet. Der genaue Mechanismus, durch den dieser Wechsel des viralen Tropismus
zu einem beschleunigten Verlust der CD4-T-Zellen führt, ist nicht bekannt. In der
Gleichgewichtsphase sind die R5-Varianten anscheinend für die Übertragung von infizierten
auf nichtinfizierte Personen entscheidend, während die X4-Varianten, die unter dem
Selektionsdruck entstehen, den die adaptive Immunantwort hervorruft, zur Ausbreitung
innerhalb eines infizierten Individuums beitragen.
Aufgrund eines genetischen Defekts im Corezeptor CCR5 kommt es in vivo zu einer Resistenz
gegenüber einer HIV-Infektion
Hinweise darauf, welche Bedeutung CCR5 für die HIV-Infektion hat, stammen von Untersuchungen
an Personen, die trotz einer starken Exposition gegenüber HIV-1 seronegativ geblieben
sind. Lymphocyten und Makrophagen dieser Personen waren in Zellkulturen, die man mit
HIV infiziert hat, vergleichsweise resistent gegen eine Infektion durch HIV. Die Resistenz
dieser Personen gegen eine HIV -Infektion ließ sich erklären, als man entdeckte, dass
die Betroffenen für eine nichtfunktionelle Variante von CCR5 homozygot sind. Bei dieser
Variante, die man mit ∆32 bezeichnet, fehlt ein codierender Bereich von 32 Nucleotiden,
was zu einer Rasterverschiebung und einer Verkürzung des translatierten Proteins führt.
Innerhalb der weißen Bevölkerung ist die Häufigkeit dieses mutierten Allels mit 0,09
relativ hoch. Etwa 10 % der weißen Bevölkerung sind also heterozygote Träger des Allels
und etwa 1 % ist homozygot. Bei Japanern oder Schwarzafrikanern aus West- oder Zentralafrika
findet man das mutierte Allel nicht. Ob die heterozygote Mutation von CCR5 einen partiellen
Schutz gegen eine HIV-Infektion bietet, ist umstritten, aber anscheinend trägt sie
möglicherweise zu einer gewissen Verlangsamung des Krankheitsverlaufs bei. Neben dem
Strukturpolymorphismus des Gens stehen verschiedene Promotorvarianten des CCR5-Gens
in Zusammenhang mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Krankheitsverlaufs. Das
häufige Vorkommen des CCR5∆32-Allels in der weißen Bevölkerung vor der HIV-Pandemie
deutet auf eine Selektion hin, die bei einer früheren Epidemie aufgetreten sein muss.
Man vermutet, dass es sich um die Pocken oder die Beulenpest gehandelt hat, aber dafür
gibt es bis jetzt keinen Beleg.
Eine Immunantwort hält HIV zwar unter Kontrolle, beseitigt es aber nicht
HIV-Infektionen lösen eine Immunantwort aus, die das Virus zwar in Schach halten,
aber nur sehr selten, wenn überhaupt jemals, beseitigen kann. Abb. 13.34 zeigt den
zeitlichen Verlauf verschiedener Elemente der adaptiven Immunantwort gegen HIV bei
Erwachsenen sowie parallel dazu die Konzentration des Erregers im Plasma. Wie bereits
erwähnt, kommt es in der akuten Phase durch die virusvermittelte Cytopathie vor allem
in den mucosalen Geweben zu einer substanziellen Verringerung der Anzahl der CD4-T-Zellen.
Da sich eine Immunantwort entwickelt und die Vermehrung der Viren verlangsamt, erholt
sich die Anzahl der T-Zellen zuerst wieder und es folgt eine asymptomatische Krankheitsphase
(Abb. 13.33). Die Replikation des Virus setzt sich jedoch fort und nach einer variablen
Zeitspanne, die zwischen wenigen Monaten und bis zu 20 Jahren andauern kann, fällt
die Anzahl der CD4-T-Zellen auf einen so niedrigen Wert, dass eine wirksame Immunität
nicht mehr aufrechterhalten werden kann und sich AIDS entwickelt (definitionsgemäß
bei 200 CD4-T-Zellen pro μl peripheres Blut). Mehrere Faktoren wirken hier zusammen,
damit die Zahl der CD4-T-Zellen so weit zurückgeht, dass keine Immunität mehr besteht:
die Zerstörung durch die cytotoxischen Lymphocyten, die gegen HIV-infizierte Zellen
gerichtet sind, eine direkte und indirekte Immunaktivierung, durch die das latente
Virus seinerseits aktiviert wird, fortdauernde cytopathische Effekte durch das Virus
wie auch eine unzureichende Erneuerung der T-Zellen im Thymus. In diesem Abschnitt
wollen wir uns mit der Bedeutung der cytotoxischen CD8-T-Zellen, CD4-T-Zellen, der
Antikörper und löslichen Faktoren bei der Immunantwort auf eine HIV-Infektion beschäftigen,
wobei das System die Infektion zuerst eindämmt, aber es letztendlich nicht gelingt,
sie unter Kontrolle zu bringen.
Untersuchungen an peripheren Blutzellen infizierter Personen zeigen, dass es cytotoxische
T-Zellen gibt, die für virale Peptide spezifisch sind und in vitro infizierte Zellen
abtöten können. In vivo wandern cytotoxische T-Zellen zu Bereichen mit HIV-Replikation,
und man geht davon aus, dass sie dort zahlreiche produktiv infizierte Zellen töten,
bevor auch nur ein infektiöses Virus freigesetzt wird. Dabei würde die Viruslast auf
ein quasi stabiles Niveau eingestellt, das für die symptomfreie Phase charakteristisch
ist. Hinweise auf die klinische Bedeutung, die den cytotoxischen CD8-T-Zellen bei
der Kontrolle der HIV-Infektion zukommt, liefern Untersuchungen, bei denen man die
Anzahl und die Aktivität der CD8-T-Zellen in eine Beziehung zur Viruslast setzt. Durch
Experimente mit Makaken, die mit SIV (simian immunodeficiency virus) infiziert sind,
gibt es direkte Hinweise darauf, dass die cytotoxischen CD8-T-Zellen die mit einem
Retrovirus infizierten Zellen in Schach halten. Nach der Behandlung von infizierten
Tieren mit monoklonalen Antikörpern, die CD8-T-Zellen beseitigen, kam es zu einer
starken Zunahme der Viruslast.
Neben der direkten Cytotoxizität, die durch die Erkennung von virusinfizierten Zellen
vermittelt wird, gibt es noch eine Reihe verschiedener Faktoren, die von CD4-, CD8-
und NK-Zellen produziert werden und die für die antivirale Immunität von Bedeutung
sind. Chemokine, die an CCR5 binden, beispielsweise CCL5, CCL3 und CCL4, werden von
CD8-T-Zellen an Infektionsherden freigesetzt und hemmen die Ausbreitung des Virus,
indem sie mit den HIV-1-R5-Stämmen um die Bindung an den Corezeptor CCR5 konkurrieren.
Andererseits sind die Faktoren, die mit den X4-Stämmen um die Bindung an CXCR4 konkurrieren,
bis jetzt noch unbekannt. Cytokine wie IFN-α und IFN-γ wirken wahrscheinlich ebenfalls
dabei mit, die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu halten.
Es gibt Belege dafür, dass CD4-T-Zellen nicht nur das hauptsächliche Angriffsziel
für eine HIV-Infektion sind, sondern auch bei der Immunreaktion auf HIV-infizierte
Zellen eine wichtige Funktion erfüllen. Es besteht eine umgekehrte Korrelation zwischen
der Stärke der proliferativen CD4-T-Zell-Reaktionen auf HIV-Antigene und der Viruslast.
Darüber hinaus ist anscheinend auch die Art der Reaktion der CD4-T-Zellen gegen das
Virus von Bedeutung. Bei Patienten, deren CD4-T-Zellen eine stärkere Aktivität vom
TH1-Typ entwickeln, etwa auch die Produktion von IFN-γ und Granzym B, besteht eine
umgekehrte Korrelation zwischen der Viruslast und der Kontrolle der akuten Infektion.
Außerdem zeigen CD4-T-Zellen von Patienten, die lange Zeit nach einer HIV-Infektion
noch keine AIDS-Symptome entwickeln, stark proliferative antivirale Reaktionen. Schließlich
führt eine frühe Behandlung von akut infizierten Personen mit antiretroviralen Wirkstoffen
dazu, dass die proliferativen Reaktionen der CD4-T-Zellen gegen HIV-Antigene erneut
einsetzen. Wenn die antiretrovirale Therapie beendet wird, bleiben die CD4-Reaktionen
bei einigen der Betroffenen bestehen und die Virämie erreicht ein niedrigeres Niveau.
Die Infektion setzt sich jedoch auch bei diesen Patienten fort und die immunologische
Kontrolle der Infektion wird letztendlich unterliegen. Wenn die Reaktionen der CD4-T-Zellen
für die Kontrolle einer HIV-Infektion essenziell sind, ließe sich durch den HIV-Tropismus
für diese Zellen und die Tatsache, dass die Zellen von dem Virus getötet werden, durchaus
erklären, warum die Immunantwort eines Wirtsorganismus die Infektion langfristig nicht
unter Kontrolle bekommt.
Antikörper gegen HIV-Proteine werden schon in einer frühen Infektionsphase erzeugt,
sie sind aber wie die T-Zellen letztendlich nicht in der Lage, das Virus zu beseitigen.
Wie bei den viralen T-Zell-Epitopen verfügt das Virus über ein hohes Potenzial, unter
dem Selektionsdruck der Antikörperreaktion Escape-Mutanten zu entwickeln. Für die
Antikörperreaktion sind anscheinend zwei Faktoren von Bedeutung: Zum einen werden
neutralisierende Antikörper gegen die Antigene gp120 und gp41 in der Virushülle produziert,
die das Anheften des Virus an CD4-positive Zielzellen blockieren, und zum anderen
werden nichtneutralisierende Antikörper erzeugt, die im Zusammenhang mit der antikörperabhängigen
zellulären Cytotoxizität (ADCC) gegen infizierte Zellen gerichtet sind. Neutralisierende
Antikörper werden zwar letztendlich von fast allen HIV-Infizierten produziert, aber
die relative Unzugänglichkeit der viralen Epitope, die an CD4 und die Chemokincorezeptoren
binden, behindert die Entwicklung solcher Antikörper über einen längeren Zeitraum
(das heißt einige Monate) hinweg. Dadurch gewinnt das Virus Zeit, Escape-Mutanten
hervorzubringen, bevor die neutralisierenden Antikörper produziert werden. Die Entwicklung
sogenannter breit neutralisierender Antikörper , die die Infektion durch diverse Virenstämme
blockieren können, treten häufig bei Patienten mit hohen Virustitern auf, was dafür
spricht, dass diese Antikörper nicht in der Lage sind, eine im Körper etablierte Infektion
wirksam einzudämmen. Die Analyse von wirksam neutralisierenden Antikörpern gegen HIV
zeigen, dass sie eine intensive somatische Hypermutation durchlaufen haben, die selten
innerhalb eines Jahres nach der Infektion einsetzt. Andererseits kann die passive
Verabreichung einiger Antikörper gegen HIV an Versuchstiere diese vor einer mucosalen
Infektion mit HIV schützen. Das lässt zumindest hoffen, dass es möglich sein kann,
einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln, der Neuinfektionen verhindert.
Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass nicht neutralisierende Antikörper , die die
ADCC der NK-Zellen, Makrophagen und neutrophilen Zellen aktivieren, anders als die
neutralisierenden Antikörper, die erst in einer späten Infektionsphase gebildet werden,
bereits in einer frühen Infektionsphase entstehen und zusammen mit den Aktivitäten
der cytolytischen CD8-T-Zellen die Vermehrung der Viren begrenzen. Allerdings ermöglicht
es die hohe Mutationsrate dem Virus auch hier, immer einen Schritt voraus zu sein
und die Infektion aufrechtzuerhalten. Mutationen während der HIV-Replikation ermöglichen
die Entstehung von Virusvarianten, die der Erkennung durch neutralisierende Antikörper
oder cytotoxische T-Zellen entgehen und viel zum langfristigen Versagen des Immunsystems
bei der Eindämmung der Infektion beitragen. Eine Immunantwort wird häufig von T- oder
B-Zellen dominiert, die nur für bestimmte Epitope – die immundominanten Epitope –
spezifisch sind, und man hat schon Mutationen in den immundominanten HIV-Peptiden
gefunden, die durch MHC-Klasse-I-Moleküle präsentiert werden. Zudem hat man Mutationen
in Epitopen gefunden, die von neutralisierenden und nichtneutralisierenden Antikörpern
erkannt werden. Man hat auch festgestellt, dass mutierte Peptide T-Zellen hemmen können,
die auf das Wildtypepitop reagieren, sodass sowohl das mutierte als auch das Wildtypvirus
überlebt.
Die Immunantwort gegen HIV ist zwar letztendlich nicht erfolgreich, aber zweifellos
wird das Voranschreiten der viralen Replikation verzögert. Das zeigt sich vielleicht
am besten an den tragischen Fällen von Kindern, die bei der Geburt mit HIV infiziert
wurden und bei denen der Verlauf der Krankheit viel massiver ist als bei Erwachsenen.
Das liegt an der schwachen Immunantwort gegen das Virus in der akuten Infektionsphase,
da das Immunsystem von Neugeborenen noch nicht entwickelt ist, aber auch daran, dass
die Infektion durch einen Virusstamm erfolgt, der bereits einem Immunsystem entkommen
ist, das dem des Kindes genetisch ähnlich ist. Das bedeutet letztendlich, dass die
Latenzphase aufgrund der schwachen Immunantwort entfällt und sich AIDS schnell entwickelt.
Die Lymphgewebe sind das wichtigste Reservoir für eine HIV-Infektion
In Anbetracht der aktiven und beständigen Immunantwort gegen eine HIV-Infektion und
der Entwicklung von antiretroviralen Behandlungsmethoden, die die Virusreplikation
wirksam bekämpfen (Abschn. 13.3.11), ist es wichtig, die Reservoirs zu kennen, die
es dem Virus ermöglichen, die Infektion aufrechtzuerhalten. Die HIV-Last und der Virusumsatz
werden zwar normalerweise mithilfe der RNA ermittelt, die in den Virionen im Blut
vorhanden ist, aber das hauptsächliche Reservoir einer HIV-Infektion ist anscheinend
das Lymphgewebe. Das Virus kommt nicht nur in den infizierten CD4-T-Zellen, Makrophagen
und dendritischen Zellen vor, sondern wird auch in den Keimzentren an den Oberflächen
der follikulären dendritischen Zellen in Form von Immunkomplexen festgehalten. Diese
Zellen werden nicht selbst infiziert, dienen aber als Reservoir für infektiöse Virionen,
die Monate oder sogar länger überdauern können. Gewebemakrophagen und dendritische
Zellen können zwar anscheinend replizierende HIV-Viren beherbergen, ohne von ihnen
getötet zu werden, aber diese Zellen sind kurzlebig und bilden wahrscheinlich nicht
das Hauptreservoir für eine latente Infektion. Sie sind aber anscheinend für die Ausbreitung
des Virus in andere Gewebe von Bedeutung, beispielsweise ins Gehirn, wo möglicherweise
infizierte Zellen des Zentralnervensystems dazu beitragen, dass das Virus langfristig
im Körper überlebt.
Auf der Basis von Untersuchungen an Patienten, die eine antiretrovirale Therapie erhalten,
lässt sich abschätzen, dass über 95 % der Viren, die im Plasma nachweisbar sind, aus
produktiv infizierten CD4-T-Zellen stammen, die mit etwa zwei Tagen eine sehr kurze
Lebensdauer haben. Virenproduzierende CD4-T-Zellen kommen in den T-Zell-Zonen der
Lymphgewebe vor und man nimmt an, dass sie der Infektion unterliegen, wenn sie bei
einer Immunantwort aktiviert werden. Latent infizierte CD4-T-Gedächtnisdzellen, die
durch ihr Antigen reaktiviert werden, bringen ebenfalls Viren hervor, die sich auf
andere aktivierte CD4-T-Zellen ausbreiten können. Neben den produktiv oder latent
infizierten Zellen gibt es noch eine weitere große Population von Zellen, die mit
defekten Proviren infiziert sind, welche keine infektiösen Viren produzieren. Ungünstig
ist dabei, dass die Halblebenszeit der latent infizierten CD4-T-Gedächtniszellen mit
etwa 44 Monaten außerordentlich lang ist. Das bedeutet, dass eine medikamentöse Behandlung,
die die Vermehrung der Viren wirksam beendet, über 70 Jahre lang angewendet werden
müsste, um das Virus ganz zu beseitigen. In der Praxis bedeutet das, dass die Patienten
es niemals schaffen, eine HIV-Infektion vollständig zu überwinden, und ihr Leben lang
behandelt werden müssen.
Durch die genetische Variabilität kann sich in einem Wirt die Geschwindigkeit verändern,
mit der die Krankheit voranschreitet
Bereits in einer frühen Phase der HIV/AIDS-Pandemie wurde deutlich, dass der Verlauf
der Krankheit sehr unterschiedlich sein kann. Zwar erkranken tatsächlich fast alle
infizierten Personen, die nicht behandelt werden, an AIDS und sterben schließlich
an opportunistischen Infektionen oder an Krebs, aber es sind eben nicht alle davon
betroffen. Ein geringer Prozentsatz der Personen, die mit dem Virus in Kontakt kommen,
zeigt zwar eine Serokonversion, aber die Krankheit schreitet nicht voran. Bei den
Betroffenen bleiben die Anzahl CD4-T-Zellen und weitere Parameter der Immunkompetenz
ohne antiretrovirale Therapie jahrzehntelang stabil. Bei diesen Individuen ohne langfristigen
Krankheitsfortschritt (
long-term nonprogressors
) gibt es eine Untergruppe, die man als Elite-Controller bezeichnet. Diese Personen
zeigen ungewöhnlich niedrige Titer an zirkulierenden Viren (trotz der bestehenden
Virusvermehrung auf niedrigem Niveau, die mit Standardtests klinisch nicht nachweisbar
ist) und machen etwa 1/300 der Infizierten aus. Man hat sie genau untersucht, um herauszufinden,
warum sie ihre Infektion kontrollieren können. Eine zweite Gruppe umfasst Personen,
die durch ihr Verhalten hohe Risiken eingehen und sich wiederholt einer Infektionsgefahr
aussetzen, aber virus- und krankheitsfrei bleiben. Man hat unter diesen Personen zwar
Anzeichen für frühere HIV-Infektionen gefunden, aber es ist nicht geklärt, ob sie
jemals von einem infektiösen Virus betroffen waren oder ob sie nur mit einem stark
geschwächten oder defekten Stamm in Kontakt gekommen sind, der keine erfolgreiche
Infektion auslösen konnte. Auf jeden Fall ist die Untersuchung dieser Personen von
großem medizinischen Interesse, da sich vielleicht Erkenntnisse gewinnen lassen, wie
die Immunantwort des Wirtes das Virus besser unter Kontrolle bringen kann und welche
genetischen Faktoren möglicherweise ausschlaggebend sind, um einen wirksamen Immunschutz
zu entwickeln. Vielleicht kann man so auch Hinweise auf Verfahren erhalten, wie sich
bessere Impfstoffe herstellen lassen.
Die genetische Variabilität des Virus selbst kann zwar das Ergebnis einer Infektion
beeinflussen, aber man findet bei den Wirtsorganismen immer mehr Genvarianten, die
sich auf die Geschwindigkeit auswirken, mit der sich eine HIV-Infektion bis zur Entstehung
von AIDS entwickelt. Genomweite Assoziationsstudien (GWASs) und seit neuerer Zeit
auch bessere Hochdurchsatzmethoden zur Bestimmung von individuellen genetischen Varianten
(beispielsweise Exom- und Gesamtgenomsequenzierung) führen immer schneller zur Entdeckung
weiterer genetischer Varianten, in denen sich hoch anfällige und resistente Individuen
unterscheiden (Abb. 13.35). Wie im Abschn. 13.3.6 besprochen, ist das mutierte Allel
CCR5∆32 von CCR5 eines der eindeutigsten Beispiele für eine genetische Variante bei
einem Wirtsorganismus, die die HIV-Infektion beeinflusst. Wenn die Variante homozygot
auftritt, wird die HIV-Infektion wirksam blockiert, im heterozygoten Fall kann es
zu einer Verlangsamung des Infektionsverlaufs kommen. Genetische Polymorphismen im
HLA-Klasse-I-Locus, insbesondere bei HLA-B- und HLA-C-Allelen, bilden einen weiteren
wichtigen Faktor, der den Krankheitsverlauf bestimmt. Daraus lassen sich Prognosen
zur Kontrolle einer HIV-Infektion zurzeit am besten ableiten. Mithilfe der GWAS-Untersuchungen
konnte man Polymorphismen im peptidbindenden Spalt von HLA-Klasse-I-Molekülen kartieren,
die entscheidende Determinanten für den Krankheitsverlauf darstellen. Polymorphismen
außerhalb des Spalts und auch in nichtcodierenden Regionen, welche die Expressionsraten
der HLA-Moleküle kontrollieren, spielen ebenfalls eine Rolle. Die HLA-Klasse-I-Allele
HLA-B57 , HLA-B27 und HLA-B13 sowie weitere Varianten führen zu einer besseren Prognose,
während die Allele HLA-B35 und HLA-B07 einen rascheren Krankheitsverlauf mit sich
bringen. Homozygotie bei HLA-Klasse-I-Allelen (HLA-A
, HLA-B und HLA-C ) führt ebenfalls zu einem schnelleren Verlauf, wahrscheinlich weil
die T-Zell-Reaktion auf die Infektion eine geringere Diversität besitzt. Bemerkenswert
ist dabei, dass ein Einzelnucleotidpolymorphismus (single nucleotode polymorphism,
SNP) 35 kb stromaufwärts des HLA-C-Locus die stärksten Auswirkungen auf die Viruskontrolle
hat. Dieser Polymorphismus führt zu einer besseren Immunkontrolle, die mit einer erhöhten
Expression von HLA-C einhergeht. Die verbesserte Kontrolle ist wahrscheinlich eine
Folge der gesteigerten Präsentation der Viruspeptide gegenüber den CD8-T-Zellen. Bestimmte
Polymorphismen der killerzellenimmunglobulinähnlichen Rezeptoren (KIRs), die auf NK-Zellen
vorkommen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_3#Sec29), insbesondere im Rezeptor KIR-3DS1
in Kombination mit bestimmten Allelen von HLA-B, verzögern ebenfalls die Entwicklung
von AIDS. Mutationen, die die Produktion von Cytokinen wie IFN-γ und IL-10 beeinflussen,
wurden ebenfalls mit einer Begrenzung der HIV-Entwicklung in Zusammenhang gebracht.
Die Zerstörung der Immunfunktion als Folge einer HIV-Infektion führt zu einer erhöhten
Anfälligkeit gegenüber opportunistischen Infektionen und schließlich zum Tod
Sinkt die Anzahl der CD4-T-Zellen unter einen bestimmten kritischen Wert, so versagt
die zelluläre Immunantwort und es kommt zu Infektionen mit einer Anzahl verschiedener
opportunistischer Erreger (Abb. 13.36). Typisch ist der frühe Verlust der Widerstandskraft
gegen orale Infektionen mit Candida spp., dem Erreger von Soor (orale Candidiasis)
und Mycobacterium tuberculosis (das Tuberkulose verursacht). Später erkranken die
Patienten an Gürtelrose, die durch die Aktivierung von latentem Varicella zoster verursacht
wird, an aggressiven B-Zell-Lymphomen, die von EBV ausgelöst werden, sowie am Kaposi-Sarkom
, einem Tumor aus endothelialen Zellen. Letzterer entsteht wahrscheinlich als Reaktion
auf die bei der Infektion gebildeten Cytokine sowie aufgrund des Kaposi-Sarkom-assoziierten
Herpesvirus (KSHV oder HHV-8 ). Schon bei den ersten AIDS-Diagnosen waren Lungenentzündungen
durch Pneumocystis jirovecii (frühere Bezeichnung P. carinii) die häufigsten opportunistischen
Infektionen und verliefen häufig tödlich, bevor eine wirksame antifungale Therapie
zur Verfügung stand. Auch eine zusätzliche Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus tritt
häufig auf und es kommt dabei zu einem schnellen Fortschritt der Hepatitis. Zum Schluss
treten das Cytomegalievirus oder eine Infektion mit dem Mycobacterium avium -Komplex
in den Vordergrund. Nicht jeder AIDS-Patient bekommt alle diese Infektionen oder Tumoren
und es gibt darüber hinaus weitere Tumorarten und Infektionen, die zwar weniger bedeutend,
aber dennoch typisch sind. In Abb. 13.36 sind die häufigsten opportunistischen Infektionen
und Tumoren aufgeführt, die normalerweise in Schach gehalten werden, bis schließlich
die Anzahl der CD4-T-Zellen gegen Null abfällt.
Wirkstoffe, welche die HIV-Replikation blockieren, führen zu einer raschen Abnahme
des Titers an infektiösen Viren und zu einer Zunahme der Anzahl von CD4-T-Zellen
Untersuchungen mit Wirkstoffen, die den Replikationszyklus von HIV blockieren können,
zeigen, dass sich das Virus in jeder Phase der Infektion – selbst in der asymptomatischen
– rasch vermehrt. Solche Wirkstoffe richten sich vor allem gegen drei Virusproteine:
gegen die Reverse Transkriptase, die für die Synthese des Provirus erforderlich ist,
gegen die virale Integrase, die für das Einfügen des Provirus in das Wirtsgenom notwendig
ist, sowie gegen die virale Protease, die die Polyproteine des Virus spaltet, aus
denen die Proteine des Virions und viralen Enzyme entstehen. Die Reverse Transkriptase
wird durch Nucleotidanaloga wie Azidothymidin (AZT, auch als Zidovudin bezeichnet)
gehemmt. Dieser Wirkstoff war das erste, der in den USA als Anti-HIV-Mittel zugelassen
wurde. Inhibitoren der Reversen Transkriptase , der Integrase und der Protease verhindern
die Infektion nichtinfizierter Zellen. Bereits infizierte Zellen können allerdings
weiterhin Virionen produzieren, da die Reverse Transkriptase und die Integrase für
die Erzeugung von Viruspartikeln nicht mehr notwendig sind, sobald das Provirus gebildet
wurde. Die virale Protease ist zwar erst bei einem sehr späten Schritt der Virusreifung
aktiv, aber die Hemmung der Protease verhindert nicht, dass Viren freigesetzt werden.
In allen Fällen werden jedoch weitere Infektionszyklen blockiert, die durch freigesetzte
Virionen ausgelöst werden; eine Replikation ist dadurch nicht mehr möglich.
Durch die Einführung einer Kombinationstherapie mit einer Mischung aus Inhibitoren
der viralen Protease und Nucleosidanaloga, die man auch als hochaktive antiretrovirale
Therapie (HAART ) bezeichnet, verringerte sich in den USA in den Jahren 1995–1997
die Sterblichkeit und das Krankheitsbild der Patienten mit einer fortgeschrittenen
HIV-Infektion gravierend (Abb. 13.37). Viele Patienten, die mit HAART behandelt wurden,
zeigen eine schnelle und erhebliche Verringerung der Virämie, was letztendlich für
einen langen Zeitraum zu einer konstanten Konzentration der HIV-RNA nahe der Nachweisgrenze
(50 Kopien pro ml Plasma) führt (Abb. 13.38). Es ist nicht bekannt, wie die Viruspartikel
nach dem Beginn einer HAART-Behandlung so schnell aus dem Kreislauf entfernt werden.
Wahrscheinlich werden sie von spezifischen Antikörpern und von Komplementproteinen
opsonisiert und von Zellen aus dem mononucleären Phagocytensystem beseitigt. Opsonisierte
HIV-Partikel können auch in Lymphfollikeln an den Oberflächen von follikulären dendritischen
Zellen festgehalten werden.
Die HAART-Therapie geht auch einher mit einer langsamen aber ständigen Zunahme der
CD4-T-Zellen, obwohl viele andere Kompartimente des Immunsystems beeinträchtigt bleiben.
Für die Erholung der Anzahl der CD4-T-Zellen sind drei komplementäre Mechanismen verantwortlich:
Zum einen erfolgt eine Umverteilung der CD4-T-Gedächtniszellen aus den Lymphgeweben
in den Blutkreislauf, sobald die Virusreplikation eingedämmt ist; das geschieht innerhalb
von Wochen nach Beginn der Behandlung. Zum anderen geht die anormal hohe Aktivierung
des Immunsystems zurück, da die HIV-Infektion nun unter Kontrolle ist. Dadurch werden
weniger infizierte CD4-T-Zellen durch die cytotoxischen T-Lymphocyten getötet. Der
dritte Mechanismus ist wesentlich langsamer und wird dadurch ausgelöst, dass neue
naive T-Zellen aus dem Thymus in Erscheinung treten. Das zeigt sich am Vorhandensein
von T-Zell-Rezeptor-Exzisionsringen (TRECs) in diesen später auftretenden Zellen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_5#Sec12).
Die HAART-Therapie bekämpft zwar wirksam die HIV-Infektion, verhindert das Voranschreiten
von AIDS und verringert die Übertragung des Virus durch infizierte Personen, sie ist
jedoch nicht in der Lage, alle viralen Reservoirs zu vernichten. Wenn man die HAART-Therapie
absetzt, kommt es wieder schnell zu einer Vermehrung des Virus, sodass Patienten ihr
Leben lang behandelt werden müssen. Dadurch und auch aufgrund der Nebenwirkungen und
Kosten der HAART-Therapie wurden weitere Forschungen angeregt, die sich auf andere
Ziele richteten, mit denen sich die Vermehrung der Viren blockieren lässt (Abb. 13.39),
und man wollte Möglichkeiten finden, die Virusreservoirs zu beseitigen, um die Infektion
dauerhaft zu beenden. Zu den neuen Wirkstoffen gegen die HIV-Replikation gehören Entry-Inhibitoren
, die die Bindung von gp120 an CCR5 blockieren oder die Fusion des Virus mit der Zelle
durch Hemmung von gp41 verhindern, sowie Integraseinhibitoren , die das Einfügen des
revers transkribierten Virusgenoms in die Wirts-DNA blockieren. Ein weiterer Ansatz,
der sich zurzeit in der Entwicklung befindet, ist die Unterstützung der HIV-Restriktionsfaktoren,
beispielsweise von APOBEC (Abschn. 13.3.3) und TRIM5α. APOBEC verursacht in der neu
synthetisierten HIV-cDNA zahlreiche Mutationen und zerstört so deren codierte Sequenzen
und die Fähigkeit zur Replikation; TRIM5α begrenzt die Infektion durch HIV, indem
das Molekül an das virale Nucleocapsid bindet und so das Abstreifen der Hülle und
die Freisetzung der Virus-RNA verhindert, nachdem das Virus in eine Zelle eingedrungen
ist.
Die HAART -Behandlung ist zwar dahingehend erfolgreich, dass die aktive Virusreplikation
verhindert wird, aber das Unvermögen der zurzeit verfügbaren Therapien, die Reservoirs
der latent infizierten Zellen zu bereinigen, bildet das größte Hindernis für eine
Heilung. Um diesen Missstand zu überwinden, hat man schon Verfahren in Betracht gezogen,
bei latent infizierten Zellen die Virusreplikation anzuregen und gleichzeitig Maßnahmen
zu ergreifen, um die Beseitigung von Viren und infizierten Zellen durch das Immunsystem
zu verstärken. Latente Viren lassen sich beispielsweise durch die Gabe von Cytokinen
aktivieren, die die virale Transkription und Replikation in Gang setzen (etwa IL-2,
IL-6 und TNF-α). Eine andere Möglichkeit ist die Anwendung von epigenetisch wirksamen
Faktoren, beispielsweise Inhibitoren der Histon-Deacetylase (HDAC), die ein latentes
Provirus aktivieren können. Bis heute hat jedoch keine einzige klinische Studie mit
Wirkstoffen gegen die Reservoirs latenter Viren zu einer eindeutigen Verringerung
der Viruslast geführt, die über das hinausgeht, was mit der HAART-Therapie allein
zu erreichen ist. Tatsächlich hat man vor Kurzem festgestellt, dass die Aktivierung
der viralen Replikation bei latent infizierten Zellen ein in sich zufälliges Verfahren
darstellt, da viele Immunzellen, die Proviren beherbergen, gar nicht in der Lage sind,
die Virusreplikation bei irgendeinem zellulären Aktivierungszyklus in Gang zu setzen.
Die Anpassung von HIV, auf diese Weise die Vernichtung von latent infizierten Zellen
zu verhindern, stellt wahrscheinlich ein beträchtliches Hindernis für alle Behandlungsmethoden
dar, die darauf abzielen, latente Viren sozusagen „auszuspülen“, um sie zu beseitigen.
Eine alternative Methode für eine Heilung ergab sich bei einem einzelnen HIV-Patienten
in Berlin („Berlin-Patient “), dem hämatopoetische Stammzellen übertragen wurden (hematopoietic
stem-cell transplantation, HSCT), um eine Leukämie zu behandeln. Da der Spender der
Stammzellen für die CCR5∆32 -Corezeptor-Mutation homozygot war, wurde der Patient
mit Immunzellen ausgestattet, die gegen die Vermehrung von HIV resistent sind. Der
Bestand der CD4-T-Zellen erholte sich bei diesem Patienten und er zeigte keinerlei
Anzeichen einer HIV-Infektion oder Leukämie mehr, nachdem im Anschluss an die Transplantation
die antiretrovirale Therapie beendet worden war. Der Patient befindet sich nun seit
über fünf Jahren in diesem Zustand, was darauf hindeutet, dass er tatsächlich von
der Infektion geheilt wurde. In Anbetracht der großen Zahl von Infizierten weltweit,
der großen Risiken für Komplikationen, die eine HSCT mit sich bringt, und dem seltenen
Vorkommen von HLA-kompatiblen Spendern mit der CCR5-Deletion, kann dies in der Praxis
niemals ein relevanter Ansatz sein, die Heilung auf das breite Spektrum an HIV-Infizierten
zu erweitern. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass sich die Virusvarianten mit
einem CXCR4-Tropismus nach der Transplantation vermehren oder es damit zu einer Neuinfektion
kommt. Das Ergebnis verdeutlicht jedoch, dass es durch die Vernichtung eines Latenzreservoirs
(in diesem Fall durch eine induktive Chemo- und Bestrahlungstherapie gegen Leukämie)
in Kombination mit einer Blockade der Virusreplikation (entweder durch genetisch bedingte
Effekte oder therapeutische Einwirkung) zu einer nachhaltigen Heilung kommen kann.
Bei jedem HIV-Infizierten häuft das Virus im Verlauf der Infektion zahlreiche Mutationen
an, sodass wirkstoffresistente Varianten des Virus entstehen können
Durch die rasche HIV -Vermehrung mit einer Erzeugung von 109–1010 Virionen pro Tag
entstehen bei einer Mutationsrate von etwa 3 × 10–5 pro Nucleotidbase und Replikationszyklus
bei einem einzigen infizierten Patienten zahlreiche HIV-Varianten. Diese hohe Mutationsrate
ist eine Folge der fehleranfälligen Replikation von Retroviren und sie stellt das
Immunsystem vor eine enorme Aufgabe. Der Reversen Transkriptase fehlt eine Korrekturlesefunktion
der zellulären DNA-Polymerasen. Die RNA-Genome der Retroviren werden mit relativ geringer
Genauigkeit in DNA transkribiert. Obwohl also die Primärinfektion normalerweise durch
ein einziges „Gründervirus“ erfolgt, entwickeln sich in einem infizierten Patienten
dennoch sehr schnell zahlreiche HIV-Varianten, die man als Quasispezies bezeichnet.
Die hohe Variabilität wurde zuerst bei HIV entdeckt, man kennt diesen Mechanismus
aber inzwischen auch von den anderen Lentiviren.
Als Folge der hohen Variabilität entwickelt HIV schnell eine Resistenz gegenüber antiviralen
Wirkstoffen, vergleichbar mit der Entwicklung von Escape-Mutanten , die der Entdeckung
durch T-Zellen entgehen (Abschn. 13.3.7). Bei der Anwendung solcher Wirkstoffe treten
Virusvarianten mit Mutationen auf, die gegen die Wirkung der Wirkstoffe resistent
sind. Die neuen Viren vermehren sich, bis die vorherigen Titer im Plasma erreicht
sind. Resistenzen gegen einige der Proteaseinhibitoren erfordern nur eine einzige
Mutation und treten bereits nach nur wenigen Tagen auf (Abb. 13.40). Ähnliches gilt
für Resistenzen gegen die Inhibitoren der Reversen Transkriptase. Im Gegensatz dazu
dauert es Monate, bis eine Resistenz gegen das Nucleosid Azidothymidin (Zidovudin
) eintritt, da hier in der Reversen Transkriptase drei bis vier Mutationen stattfinden
müssen. Aufgrund des relativ schnellen Auftretens von Resistenzen gegen HIV-Medikamente
hat eine erfolgreiche Behandlung bis jetzt normalerweise auf einer Kombinationstherapie
beruht, da die Wahrscheinlichkeit, dass in mehreren HIV-Proteinen gleichzeitig Resistenzmutanten
auftreten, praktisch bei null liegt. Dennoch haben sich Monotherapien mit antiretroviralen
Wirkstoffen der neueren Generation bei Patienten mit geringer Viruslast zu Beginn
der Infektion als wirksam erwiesen.
Ein Impfstoff gegen HIV ist erstrebenswert, wirft aber auch viele Probleme auf
Die Wirksamkeit der HAART-Therapie , die HIV-Replikation zu begrenzen, hat zwar den
natürlichen Verlauf und die Übertragungsraten der HIV-Infektion grundlegend verändert,
aber ein sicherer und wirksamer Impfstoff für die Vorbeugung einer HIV-Infektion und
von AIDS ist immer noch das letztendliche Ziel. Ein solcher Impfstoff würde im Idealfall
sowohl ein breites Spektrum neutralisierender Antikörper hervorbringen, die das Virus
daran hindern, in die Zielzellen einzudringen (also Anti-gp120-Antikörper ), als auch
wirksame Reaktionen cytolytischer T-Zellen auslösen, die HIV-Infektionen verhindern
beziehungsweise unter Kontrolle bringen können. Es ist jedoch bis jetzt nicht gelungen,
einen solchen Impfstoff herzustellen, und dies dennoch zu erreichen, birgt eine Reihe
von Schwierigkeiten, die es bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen andere Krankheiten
bis jetzt nicht gegeben hat.
Das Hauptproblem ist die Art der Infektion selbst, die von einem Virus ausgelöst wird,
das die zentrale Komponente der adaptiven Immunität – die CD4-T-Zellen – direkt unterminiert
und außerordentlich schnell proliferiert und mutiert, sodass es sogar in Gegenwart
ausgeprägter Reaktionen von cytotoxischen T-Zellen und Antikörpern eine dauerhafte
Infektion verursacht. Man hat die Entwicklung von Impfstoffen erwogen, die man Patienten
verabreichen könnte, die bereits infiziert sind, um die Immunantwort zu verstärken
und den Fortschritt von AIDS zu verhindern. Auch hat man an Impfstoffe gedacht, die
einer Infektion vorbeugen sollen. Die Entwicklung einer therapeutischen Impfung für
bereits infizierte Patienten wäre außerordentlich schwierig. Wie bereits im vorherigen
Abschnitt besprochen, kann sich HIV bei den einzelnen Patienten weiterentwickeln,
weil die mutierten Viren veränderte Peptidsequenzen codieren, die eine Erkennung durch
Antikörper und cytotoxische T-Zellen verhindern. Dadurch können sich die Mutanten
besser vermehren. Die Fähigkeit des Virus, in latenter Form ohne aktive Transkription
als Provirus, den das Immunsystem nicht erkennt, erhalten zu bleiben, könnte sogar
verhindern, dass eine immunisierte Person eine Infektion besiegen kann, sobald diese
sich etabliert hat.
Eine vorbeugende Impfung , die eine Neuinfektion verhindern soll, bietet wahrscheinlich
mehr Aussicht auf Erfolg. Aber selbst hier stellen die fehlende Schutzwirkung einer
normalen Immunantwort und das immense Ausmaß der Sequenzvielfalt der HIV-Stämme in
der infizierten Bevölkerung – zurzeit gibt es in der menschlichen Population Tausende
von verschiedenen HIV-Stämmen – insgesamt eine große Herausforderung dar. Patienten,
die mit einem bestimmten Virusstamm infiziert sind, zeigen gegenüber eng verwandten
Stämmen offenbar keine Resistenz und es gibt sogar Fälle mit Superinfektionen, bei
denen zwei Stämme gleichzeitig dieselbe Zelle infizieren. Hinzu kommt das grundlegende
Problem, überhaupt neutralisierende Antikörper mit großer Wirkungsbreite gegen die
Glykoproteine der HIV-Hülle erzeugen zu können (Abschn. 13.3.7). Zusätzlich besteht
eine gewisse Unsicherheit dahingehend, welche Form ein Immunschutz gegen HIV haben
sollte. Man geht jetzt davon aus, dass sowohl eine Antikörperreaktion als auch eine
T-Zell-Reaktion erforderlich ist, um einen wirksamen Immunschutz zu erzeugen, wobei
weiterhin unklar ist, welche Epitope am besten als Ziel geeignet sind und wie man
eine Reaktion darauf am besten induziert. Und schließlich vergehen von der ersten
Konzeption über die Entwicklung und die Herstellung bis hin zur vollständigen Durchführung
der klinischen Studien von HIV-Impfstoffen viele Jahre, wodurch sich ein Fortschritt
stark verzögert. Bis heute wurden nur wenige klinische Studien durchgeführt und die
sind gescheitert.
Es hat jedoch bei allem Pessimismus auch Fortschritte gegeben und es besteht die Hoffnung,
dass sich Impfstoffe erfolgreich entwickeln lassen. Man versucht auf verschiedene
Weise, Impfstoffe gegen HIV zu entwickeln, indem man etwa unterschiedlich rekombinante
HIV-Proteine, Plasmid-DNA oder virale Vektoren mit HIV-Genen (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_16#Sec33)
oder Kombinationen dieser Komponenten anwendet. Viele erfolgreiche Impfstoffe gegen
andere Viruserkrankungen enthalten einen lebend-attenuierten Stamm des Virus, der
eine Immunantwort auslöst, aber keine Krankheit verursacht (Abschn. 10.1007/978-3-662-56004-4_16#Sec26).
Bei der Entwicklung lebend-attenuierter Impfstoffe gegen HIV treten erhebliche Schwierigkeiten
auf, außerdem besteht die Sorge, dass es zwischen den Impfstämmen und den Wildtypviren
zu Rekombinationen kommen kann, sodass die Virulenz zurückkehrt. Ein alternativer
Ansatz ist die Verwendung anderer Viren, etwa des Vaccinia- oder des Adenovirus, um
HIV-Gene zu übertragen und zu exprimieren, um so B- und T-Tell-Reaktionen gegen HIV-Antigene
hervorzurufen. Da sich diese viralen Vektoren bei anderen Impfstudien an Menschen
als sicher erwiesen haben, wurden sie für die ersten Versuche ausgewählt. Vor Kurzem
gab es hier einen durchaus ermutigenden, wenn auch begrenzten Erfolg, indem man in
Kombinationsexperimenten Booster-Impfungen mit dem rekombinanten gp120 -Protein durchführte.
Die Übertragung der HIV-Gene gag, pol und env über einen Kanarienpockenvirus als Vektor
und anschließende Booster-Impfungen mit HIV-gp120 führten zu einer Verringerung des
Infektionsrisikos bei einer geringeren, aber signifikanten Anzahl von Empfängern,
die unter einem hohen Infektionsrisiko stehen. Dies ist bis heute der erste Fall in
der langen Reihe von Impfversuchen, dass sich überhaupt eine Wirksamkeit zeigt. Vielleicht
ist dabei genauso von Bedeutung, dass die Ergebnisse dieser Studie auch Erkenntnisse
über die Art der Immunantwort geliefert haben, die mit diesem Immunschutz einhergeht.
Anscheinend werden nichtneutralisierende Antikörper erzeugt, die eine antikörperabhängige
zelluläre Cytotoxizität (ADCC) auslösen (beispielsweise mit dem IgG3-Isotyp), durch
die der Schutz herbeigeführt wird. Da es sich als schwierig herausgestellt hat, gegen
HIV neutralisierende Antikörper hervorzubringen, könnte nun die Hoffnung bestehen,
dass man sie gar nicht benötigt. Darüber hinaus hat eine Untersuchung, bei der SIV-Gene
mithilfe des Cytomegalievirus (CMV) als Vektor auf Rhesusaffen übertragen wurden,
ergeben, dass dadurch starke CTL-Reaktionen ausgelöst wurden. Diese CTL-Reaktionen
konnten zwar nicht die Infektion mit einem pathogenen SIV-Stamm verhindern, führten
aber bei etwa der Hälfte der geimpften Affen, die man nach der systemischen Ausbreitung
des Virus geimpft hatte, zu einer Vernichtung des Virus. Dieses völlig neue Ergebnis
deutet darauf hin, dass der virale Vektor, der für die Übertragung der HIV-Gene verwendet
wird – in diesem Fall ein Vektor, der noch lange Zeit nach der Impfung HIV-Antigene
produzieren kann – für die Art und Stärke der ausgelösten antiviralen CD8-T-Zell-Reaktion
von großer Bedeutung sein und der Immunschutz womöglich durch eine wirksame T-Zell-Reaktion
allein erreicht werden kann. Hier sind weitere Untersuchungen notwendig um festzustellen,
ob die kombinierten Impfstoffe, die die passenden nichtneutralisierenden Antikörper
und starke CD8-T-Zell-Reaktionen hervorrufen, selbst dann einen Schutz bewirken können,
wenn keine neutralisierenden Antikörper produziert werden.
Neben den biologischen Hindernissen wirft die Entwicklung eines solchen Impfstoffs
auch schwerwiegende ethische Fragen auf. Es wäre unethisch, einen Impftest durchzuführen,
ohne gleichzeitig zu versuchen, die geimpfte Bevölkerungsgruppe möglichst wenig dem
Virus auszusetzen. Die Effektivität eines Impfstoffs kann man jedoch nur in einer
Population mit einem hohen Ansteckungsrisiko ermitteln. Das bedeutet, dass erste Impfversuche
in Ländern unternommen werden müssten, in denen Personen sehr häufig infiziert werden
und in denen die Ausbreitung von HIV noch nicht durch öffentliche Gesundheitsmaßnahmen
reduziert werden konnte.
Prävention und Aufklärung sind eine Möglichkeit, die Ausbreitung von HIV und AIDS
einzudämmen
Der Ausbreitung von AIDS kann vorgebeugt werden, indem Personen, die bereits infiziert
sind, und Personen, die unter einem erhöhten Ansteckungsrisiko stehen, Vorsichtsmaßnahmen
ergreifen. Die Entwicklung der HAART-Therapie steht für einen wichtigen Fortschritt
bei den Bemühungen, die HIV-Übertragung von infizierten Personen zu verhindern, da
dabei die Virustiter in den Körperflüssigkeiten stark abnehmen. Die meisten mit HIV
infizierten Menschen haben jedoch gar keinen Zugang zu einer HAART-Behandlung, da
diese teuer ist und eine lebenslange Anwendung erfordert. Außerdem sind sich viele
Infizierte gar nicht bewusst, dass sie das Virus tragen. Selbst dort, wo HAART nicht
zur Verfügung steht, ist der Zugang zu regelmäßigen Gesundheitstests notwendig, damit
infizierte Personen informiert werden und Maßnahmen ergreifen können, dass sie das
Virus nicht auf andere übertragen. Das erfordert wiederum strenge Vertraulichkeit
und auch gegenseitiges Vertrauen. Ein Hindernis dabei, HIV unter Kontrolle zu bringen,
ist das Widerstreben der Menschen überhaupt herauszufinden, ob sie infiziert sind,
vor allem da ein positiver HIV-Tests unter anderem in der Gesellschaft zu einer Stigmatisierung
führt. Hier sind Aufklärungsmaßnahmen für eine Prävention von großer Bedeutung, sowohl
zur Beseitigung der Stigmatisierung als auch zur Vermittlung von Informationen, wie
der Übertragung des Virus vorgebeugt werden kann.
Maßnahmen zur Prävention , die nichtinfizierte Personen ergreifen können, sind relativ
preisgünstig und beinhalten Vorkehrungen, die vor dem Kontakt mit Körperflüssigkeiten,
also Samenflüssigkeit, Blut, Blutprodukten oder Milch, von infizierten Personen schützen
können. Es hat sich wiederholt gezeigt, dass dies ausreicht, um eine Infektion zu
vermeiden, etwa bei Mitarbeitern im Gesundheitsdienst, die langfristig mit AIDS-Patienten
zu tun haben, ohne dass sie Anzeichen einer Serokonversion oder einer Infektion entwickeln.
Die konsequente Verwendung von Kondomen verringert das Risiko einer HIV-Übertragung
erheblich, genauso wie der Verzicht des Stillens von Neugeborenen durch infizierte
Mütter. Durch die männliche Beschneidung lässt sich ebenfalls die Übertragungsrate
verringern, da bei nichtbeschnittenen Männern die Vorhaut die hauptsächliche Eintrittsstelle
für das Virus ist. Zu weiteren Maßnahmen, die hier infrage kommen, gehört die Verwendung
antimikrobieller Gele oder Zäpfchen. Hier haben Verbesserungen zu Produkten geführt,
die sich in neueren Versuchsreihen als relativ wirksam herausgestellt haben. Einige
dieser Produkte können auch vor der Übertragung anderer sexuell übertragbarer Krankheiten
schützen (beispielsweise vor Genitalherpes), die ihrerseits das Risiko für eine HIV-Übertragung
erhöhen. Schließlich zeigt sich auch ein gestiegenes Interesse an der vorbeugenden
Einnahme von antiviralen Wirkstoffen (dies bezeichnet man als Präexpositionsprophylaxe
oder PrEP). Die Wirkstoffe werden Personen, die einem hohen Risiko ausgesetzt sind,
mit HIV in Berührung zu kommen, entweder äußerlich lokal begrenzt oder oral verabreicht.
Zurzeit gibt es zwei Inhibitoren der Reversen Transkriptase, die sich in Versuchsreihen
als wirksam erwiesen haben, und durch die kombinierte orale Einnahme beider Wirkstoffe
in den Versuchen hat das Risiko einer HIV-Infektion um 90 % abgenommen. Darüber hinaus
verringert die Anwendung einer antiretroviralen Therapie unmittelbar nach einer Exposition –
wenn etwa Krankenhausangestellte mit kontaminiertem Blut in Kontakt gekommen sind,
beispielweise durch den versehentlichen Stich mit einer Injektionsnadel – das Risiko
erheblich, sich mit HIV anzustecken. Ein Problem bei dieser Vorgehensweise besteht
darin, dass sich bei Personen, die während einer PrEP-Maßnahme von HIV angesteckt
werden, Resistenzen entwickeln können; das gilt vor allem für Personen, die sich nicht
an die Dosierungsvorschriften halten. Die Bedeutung dieses Risikos wurde zwar noch
nicht ermittelt, es bleibt aber in der Diskussion. Durch Austesten von neuen PrEP-Strategien
mit weiteren antiretroviralen Substanzen oder Wirkstoffformen mit langer Wirksamkeit,
die das Risiko bei mangelnder Mitwirkung der Patienten verringern, sollten sich noch
einige vielversprechende Ansätze finden lassen.
Zusammenfassung
Das erworbene Immunschwächesyndrom AIDS wird durch eine Infektion mit dem humanen
Immunschwächevirus HIV ausgelöst. Zwar ließ sich dessen Weitergabe inzwischen deutlich
verlangsamen, aber diese weltweite Epidemie breitet sich weiterhin aus, besonders
aufgrund von heterosexuellen Kontakten in den weniger entwickelten Ländern. HIV ist
ein behülltes Retrovirus, das sich in Zellen des Immunsystems vermehrt. Damit das
Virus in eine Zelle eindringen kann, müssen CD4 und ein bestimmter Chemokinrezeptor
vorhanden sein. Darüber hinaus braucht das Virus zur Vermehrung Transkriptionsfaktoren,
die in aktivierten T-Zellen vorkommen. Bei einer HIV-Infektion werden die CD4-T-Zellen
zerstört und es kommt zu einer akuten Virämie, die aber schnell wieder zurückgeht,
sobald die cytotoxischen T-Zellen eine Immunantwort entwickeln. Die HIV-Infektion
wird jedoch von dieser Immunreaktion nicht beseitigt. HIV etabliert einen Zustand
persistierender Infektion, in dem sich das Virus permanent in neu infizierten Zellen
vermehrt. Die derzeitige Therapie umfasst die Behandlung mit einer Kombination aus
antiviralen Wirkstoffen, die die Virusreplikation hemmen, zu einer schnellen Abnahme
des Virustiters und zu einer langsamen Zunahme der CD4-T-Zellen führen. HIV zerstört
bei einer Infektion vor allem die CD4-T-Zellen; das ist die Folge von direkten cytopathologischen
Effekten der HIV-Infektion und dem Abtöten der Zellen durch cytotoxische CD8-T-Zellen.
In dem Maße, wie die Anzahl der CD4-T-Zellen sinkt, wird der Körper zunehmend anfälliger
für opportunistische Infektionen. Schließlich bekommen die meisten unbehandelten HIV-Infizierten
AIDS und sterben. Eine kleine Minderheit, sogenannte Individuen ohne langfristigen
Krankheitsfortschritt (long-term nonprogressors), bleibt jedoch jahrelang gesund,
ohne irgendwelche Symptome einer Infektion zu zeigen. Man hofft, durch solche Menschen
herausfinden zu können, wie sich eine HIV-Infektion eindämmen lässt. Weil es solche
Menschen gibt, aber auch andere, die gegen eine Infektion auf natürliche Weise immunisiert
wurden, besteht die Hoffnung, dass möglicherweise wirksame Impfstoffe gegen HIV entwickelt
werden können.
Kapitelzusammenfassung
Während die meisten Infektionen zu einer schützenden Immunität führen, haben die erfolgreichen
Krankheitserreger Wege gefunden, einer Immunantwort zumindest teilweise zu widerstehen.
Diese lösen schwere, manchmal lange anhaltende Krankheiten aus. Einige Personen weisen
in verschiedenen Elementen des Immunsystems genetische Defekte auf, die sie für bestimmte
Gruppen von Erregern besonders anfällig machen. Persistierende Infektionen und erbliche
Immunschwächen zeigen, wie wichtig die angeborene und die erworbene adaptive Immunität
für eine wirksame Abwehr von Infektionen sind, und stellen eine fortwährende Herausforderung
für die immunologische Forschung dar. Das humane Immunschwächevirus (HIV), das zum
erworbenen Immunschwächesyndrom (AIDS) führt, vereint die besonderen Merkmale eines
persistierenden Erregers mit der Fähigkeit, das Immunsystem seines menschlichen Wirtes
zu schwächen – eine Kombination, die für die Patienten in der Regel eine langsame,
tödliche Wirkung hat. Der Schlüssel zur Bekämpfung neuer Pathogene wie HIV liegt darin,
mehr über die grundlegenden Eigenschaften des Immunsystems und seine Rolle bei der
Bekämpfung von Infektionen herauszufinden.